Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Hinzelmeier
(Theodor Storm, 1851)

Die Rose

<p>Als Hinzelmeier aus der Betaeubung erwachte&comma; lag er in seinem Bette&semi; Frau Abel sass neben ihm und hielt seine Hand in der ihren&period; Sie laechelte&comma; da er die Augen zu ihr aufschlug und der Abglanz einer Rose lag auf ihrem Antlitz&period; "Du hast zu viel erlauscht&comma; um nicht noch mehr erfahren zu muessen"&comma; sagte sie&period; "Nur darfst du fuer heute dein Bett nicht verlassen&semi; aber waehrenddessen will ich dir das Geheimnis deiner Familie mitteilen&period; Du bist jetzt gross genug&comma; um es zu wissen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Erzaehle nur&comma; Mutter"&comma; sagte Hinzelmeier und legte den Kopf zurueck in die&nbsp&semi;Kissen&semi; und dann erzaehlte Frau Abel&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>"Weit von dieser kleinen Stadt liegt der uralte Rosengarten&comma; von dem die Sage geht&comma; er sei am sechsten Schoepfungstage mit erschaffen worden&period; Innerhalb seiner Mauer stehen tausend rote Rosenbuesche&comma; welche nie zu bluehen aufhoeren&semi; und jedes Mal&comma; wenn in unserem Geschlechte&comma; welches in vielen Zweigen durch alle Laender der Welt verbreitet&comma; ein Kind geboren wird&comma; springt eine neue Knospe aus den Blaettern&period; Jeder Knospe ist eine Jungfrau zur Pflegerin bestellt&comma; welche den Garten nicht verlassen darf&comma; bis die Rose von dem geholt worden&comma; durch dessen Geburt sie entsprossen ist&period; Eine solche Rose&comma; welche du vorhin gesehen hast&comma; besitzt die Kraft&comma; ihren Eigentuemer zeitlebens jung und schoen zu erhalten&period; Daher versaeumt denn nicht leicht Jemand&comma; sich seine Rose zu holen&semi; es kommt nur darauf an&comma; den rechten Weg zu finden&semi; denn der Eingaenge sind viele und oft verwunderliche&period; Hier fuehrt es durch einen dicht verwachsenen Zaun&comma; dort durch ein schmales Winkelpfoertchen&comma; mitunter"—und Frau Abel sah ihren Eheherrn&comma; der eben ins Zimmer trat&comma; mit schelmischen Augen an—"mitunter auch durch's Fenster&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Herr Hinzelmeier laechelte und setzte sich neben das Bett seines Sohnes&period;&nbsp&semi;Dann erzaehlte Frau Abel weiter&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>"Auf diese Weise wird die groesste Zahl der Jungfrauen aus ihrer Gefangenschaft erloest und verlaesst mit dem Besitzer der Rose den Garten&period; Auch deine Mutter war eine Rosenjungfrau und pflegte sechzehn Jahre lang die Rose deines Vaters&period; Wer aber an dem Garten voruebergeht ohne einzukehren&comma; der darf niemals dahin zurueck&semi; nur der Rosenjungfrau ist es nach dreimal drei Jahren gestattet&comma; in die Welt hinaus zu gehen&comma; um den Rosenherrn zu suchen und sich durch die Rose aus der Gefangenschaft zu erloesen&period; Findet sie in dieser Zeit ihn nicht&comma; so muss sie in den Garten zurueck und darf erst nach wiederum dreimal drei Jahren noch einmal den Versuch erneuern&semi; aber Wenige wagen den ersten&comma; fast Keine den zweiten Gang&semi; denn die Rosenjungfrauen scheuen die Welt und wenn sie ja in ihren weissen Gewaendern hinausgehen&comma; so gehen sie mit niedergeschlagenen Augen und zitternden Fuessen&semi; und unter hundert solcher Kuehnen hat kaum eine einzige den wandernden Rosenherrn gefunden&period; Fuer diesen aber ist dann die Rose verloren&semi; und waehrend die Jungfrau zu ewiger Gefangenschaft zurueckgegangen ist&comma; hat auch er die Gnade seiner Geburt verscherzt und muss wie die gewoehnliche Menschheit kuemmerlich altern und vergehen&period;—Auch du&comma; mein Sohn&comma; gehoerst zu den Rosenherren und kommst du in die Welt hinaus&comma; dann vergiss den Rosengarten nicht&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Herr Hinzelmeier neigte sich zur Frau Abel und kuesste ihre seidenen Haare&semi; dann sagte er&comma; freundlich des Knaben andere Hand ergreifend&colon; "Du bist jetzt gross genug&excl; Moechtest du wohl in die Welt hinaus und eine Kunst erlernen&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja"&comma; sagte Hinzelmeier&comma; "aber es muesste eine grosse Kunst sein&semi; so eine&comma; die sonst noch niemand hat erlernen koennen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Frau Abel schuettelte sorgenvoll den Kopf&semi; der Vater aber sagte&colon; "Ich will dich zu einem weisen Meister bringen&comma; der viele Meilen von hier in einer grossen Stadt wohnt&semi; da magst du dir selbst eine Kunst erwaehlen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Da war Hinzelmeier zufrieden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einige Tage darauf packte Frau Abel einen grossen Koffer mit unzaehlig vielen Kleidern und Hinzelmeier selber legte noch ein Rasierzeug hinein&comma; damit er den Bart&comma; wenn er kaeme&comma; sogleich wieder abschneiden koenne&period; Dann fuhr eines Tages der Wagen vor die Tuer und als die Mutter ihren Sohn zum Abschied umarmte&comma; sagte sie unter Traenen zu ihm&colon; "Vergiss die Rose nicht&excl;"<&sol;p>

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