Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Hinzelmeier
(Theodor Storm, 1851)

Die weisse Wand

<p>In einem alten weitlaeufigen Hause wohnten Herr Hinzelmeier und die schoene Frau Abel&colon; sie waren nun schon ins zwoelfte Jahr verheiratet&comma; ja die Leute in der Stadt zaehlten ihnen nach&comma; dass sie zusammen schon fast an die achtzig Jahre auf dem Nacken haetten und noch immer waren sie jung und schoen und hatten weder ein Faeltchen vor der Stirn&comma; noch ein Hahnepfoetchen unter den Augen&period; Dass dies nicht mit rechten Dingen zugehe&comma; war nun freilich klar genug und wenn die Hinzelmeierschen aufs Tapet kamen&comma; so tranken die Stadtkaffeetanten drei Naepfchen mehr als am ersten Ostersonntagnachmittage&period; Die Eine sagte&colon; "Sie haben einen Jungbrunnen im Hofe&excl;" Die Andere sagte&colon; "Es ist eine Jungfernmuehle&excl;" Die Dritte sagte&colon; "Ihr Bube&comma; das Hinzelmeierlein&comma; ist mit einer Glueckshaube auf die Welt gekommen und nun tragen die Alten sie wechselweise&comma; Nacht um Nacht&excl;" Das kleine Hinzelmeierlein dachte nun freilich nicht dergleichen&semi; es kam ihm im Gegenteil ganz natuerlich vor&comma; dass seine Eltern immer jung und schoen waren&semi; aber gleichwohl bekam auch er sein Nuesschen&comma; das er vergeblich zu knacken suchte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eines Herbstnachmittags&comma; da es schon gegen das Zwielicht ging&comma; sass er in dem langen Korridor des oberen Stockwerks und spielte Einsiedler&semi; denn weil die silbergraue Katze&comma; welche sonst bei ihm zur Schule ging&comma; eben in den Garten hinabgeschlichen war&comma; um nach den Buchfinken zu sehen&comma; so hatte er mit dem Professorspiel fuer heute aufhoeren muessen&period; Er sass nun als Einsiedler in einem Winkel und dachte sich Allerhand&comma; wohin wohl die Voegel floegen und wie die Welt draussen wohl aussehen moege und noch viel Tiefsinnigeres&semi; denn er wollte der Katze darueber auf den andern Tag einen Vortrag halten—als er seine Mutter&comma; die schoene Frau Abel&comma; an sich voruebergehen sah&period; "Heisa&comma; Mutter&excl;" rief er&semi; aber sie hoerte ihn nicht&comma; sondern ging mit raschen Schritten an das Ende des Korridors&semi; hier blieb sie stehen und schlug mit dem Schnupftuch dreimal gegen die weisse Wand&period; —Hinzelmeier zaehlte in Gedanken "eins"—"zwei" und kaum hatte er "drei" gezaehlt&comma; als er die Wand sich lautlos oeffnen und seine Mutter dadurch verschwinden sah&semi; kaum konnte der Zipfel des Schnupftuches noch mit hindurchschluepfen&comma; so ging alles mit einem leisen Klapp wieder zusammen und der Einsiedler dachte nun auch noch darueber nach&comma; wohin doch wohl seine Mutter durch die Wand gegangen sei&period; Darueber ward es allmaehlich dunkler und das Daemmern in seinem Winkel war schon so gross geworden&comma; dass es ihn ganz verschlungen hatte&comma; da machte es&comma; wie zuvor&comma; einen leisen Klapp&comma; und die schoene Frau Abel trat aus der Wand wieder in den Korridor hinein&period; Ein Rosenduft schlug dem Knaben entgegen&comma; wie sie an ihm vorueberstrich&period; "Mutter&comma; Mutter&excl;" rief er&semi; aber er hielt sie nicht zurueck&semi; er hoerte&comma; wie sie die Treppe hinab und in das Zimmer des Vaters ging&period; Wo er am Vormittag sein Schaukelpferd an den messingenen Ofenknopf gebunden hatte&period; Nun hielt es ihn nicht laenger&comma; er sprang durch den Korridor und ritt wie der Wind das Treppengelaender hinab&period; Als er ins Zimmer trat&comma; war es voller Rosenduft und es schien ihm fast&comma; als waere seine Mutter selber eine Rose&comma; so leuchtend war ihr Antlitz&period; Hinzelmeier wurde ganz nachdenklich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Liebe Mutter"&comma; sagte er endlich&comma; "weshalb gehst du denn immer durch die&nbsp&semi;Wand&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Und als Frau Abel hierauf verstummte&comma; sagte der Vater&colon; "Ei nun&comma; mein Sohn&comma; weil die anderen Leute immer durch die Tuer gehen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das war dem Hinzelmeier schon einleuchtend&semi; bald aber wollte er mehr erfahren&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wohin gehst du denn&comma; wenn du durch die Wand gehst"&comma; fragte er weiter&comma; "und wo sind die Rosen&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Aber ehe er sich's versah&comma; hatte der Vater ihn kopfueber aufs Schaukelpferd gestuelpt und die Mutter sang das schoene Lied&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Hatto von Mainz und Poppo von Trier<br&sol;>Ritten zusammen aus Luenebier&semi;<br&sol;>Hatto hott hott&excl; immer im Trott&excl;<br&sol;>Poppo hopp hopp&excl; immer Galopp&excl;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Eins&comma; zwei&comma; drei&excl;<br&sol;>Zelle vorbei&semi;<br&sol;>Eins&comma; zwei&comma; drei&comma; vier&excl;<br&sol;>Nun sind wir schon hier&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Bind es los&excl; bind es los&excl;" rief Hinzelmeier&semi; und der Vater band das&nbsp&semi;Roesslein vom Ofenknopf und die Mutter sang und der Reiter ritt hopp hinauf&nbsp&semi;und hopp hinab und hatte bald alle Rosen und weissen Waende in der ganzen&nbsp&semi;Welt vergessen&period;<&sol;p>

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