Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.
Hinzelmeier
(Theodor Storm, 1851)
Ein Meisterschuss
<p>"Der sucht den Stein der Weisen!" dachte Hinzelmeier; und seine Wangen begannen zu brennen; er schritt wacker auf die Erscheinung los; aber es war weiter, als es durch die Brillenglaeser aussah; er rief dem Raben, der musste mit seinen Fluegeln ihm die Schlaefe faecheln. Erst nach Stunden hatte er den Grund der Schlucht erreicht. Nun sah er eine schwarze, rauhe Gestalt vor sich, die hatte zwei Hoerner an der Stirn und einen langen Schwanz, den liess sie hinter sich ueber das Gestein hinabhaengen. Bei Hinzelmeiers Ankunft nahm sie das Stemmeisen zwischen die Zaehne und begruesste ihn mit dem verbindlichsten Kopfnicken, waehrend sie mit der Schwanzquaste den Bohrstaub zusammenfegte. Hinzelmeier wurde fast um die Anrede verlegen, deshalb nickte er jedesmal mit gleicher Verbindlichkeit wieder, so dass also diese Komplimente von beiden Seiten eine Zeitlang fortdauerten. Endlich sagte der Andere: "Sie kennen mich wohl nicht?"</p>
<p>"Nein", sagte Hinzelmeier. "Sind Sie vielleicht ein Pumpenmeister?"</p>
<p>"Ja", sagte der Andere, "so etwas aehnliches; ich bin der Teufel."</p>
<p>Das wollte Hinzelmeier nicht glauben; aber der Teufel sah ihn mit zwei solchen Eulenaugen an, dass er am Ende gruendlich ueberzeugt wurde und ganz bescheiden sagte: "Duerfte ich mir die Frage erlauben, ob Sie mit diesem ungeheueren Loche ein physikalisches Experiment beabsichtigen?"</p>
<p>"Kennen Sie die ultima ratio regum?" fragte der Teufel.</p>
<p>"Nein", sagte Hinzelmeier. "Die ratio regum hat nichts mit meiner Kunst zu schaffen."</p>
<p>Der Teufel kratzte sich mit dem Pferdehuf hinter den Ohren und sagte dann, einen ueberlegenen Ton annehmend: "Mein Kind, weisst du, was eine Kanone ist?"</p>
<p>"Freilich", sagte Hinzelmeier laechelnd; denn das ganze hoelzerne Arsenal aus seiner Knabenzeit sah er ploetzlich im Geiste vor sich aufgepflanzt.</p>
<p>Der Teufel klatschte vor Vergnuegen mit seinem Schwanze auf den Felsen. "Drei Pfund Schiesspulver, ein Fuenkchen Hoellenfeuer dazu; dann—!" Hier steckte er die eine Tatze in das Bohrloch und indem er die andere auf Hinzelmeiers Schulter legte, sagte er vertraulich: "Die Welt ist unregierbar geworden. Ich will sie in die Luft sprengen."</p>
<p>"Alle Wetter!" schrie Hinzelmeier, "das ist ja aber eine Radikalkur, eine wahr Pferdekur!"</p>
<p>"Ja", sagte der Teufel, "ultima ratio regum! versichere Sie, es gehoert eine uebermenschlich gute Natur dazu, um so etwas auszuhalten! Aber nun entschuldigen Sie ein Weilchen; ich muss ein wenig inspizieren." Mit diesen Worten zog er den Schwanz zwischen die Schenkel und sprang in das Bohrloch hinab. Da ueberfiel den Hinzelmeier auf einmal eine ganz uebernatuerliche Courage, so dass er bei sich beschloss, den Teufel aus der Welt zu schiessen. Mit fester Hand zog er seine Zunderbuechse aus der Tasche, pinkte Feuer und warf es in das Bohrloch; dann zaehlte er: "eins zwei—"; aber er hatte noch nicht "drei" gezaehlt, so entlud sich diese grundlose Pistole ihres Schusses samt ihrer Vorladung. Die Erde machte einen fuerchterlichen Seitensprung durch den Himmel. Hinzelmeier stuerzte in die Knie; der Teufel aber flog wie eine Bombe durch die Luft, von einem Planetensystem in das andere, wo ihn die Anziehungskraft unseres Weltkoerpers nicht mehr erreichen konnte. Hinzelmeier blickte ihm eine Weile nach; als er aber immer weiter und weiter flog und gar nicht damit aufhoeren wollte, so gingen ihm endlich die Augen ueber. Sobald daher die Erde sich insoweit beruhigt hatte, dass mit zwei Beinen wieder auf ihr zu stehen war, sprang er auf und blickte um sich her. Zu seinen Fuessen gaehnte ihn der schwarze ausgebrannte Moerser an; von Zeit zu Zeit quoll eine Wolke braunen Rauchs heraus und zog sich traege an den Felsen hin. Aber schon brach die Sonne durch den Dunst und vergoldete ueberall die Spitzen des Gesteins. Da nahm Hinzelmeier seine Tabakspfeife aus der Tasche und die blauen Wolken vor sich hinblasend, rief er triumphierend: "Den Stein des Anstosses habe ich aus der Welt geschossen; wohlan! der Stein der Weisen kann mir nicht entgehen!"</p>
<p>Dann setzte er seine Wanderung fort und Krahirius flog zu seinen Haeuptern.</p>