Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Hinzelmeier
(Theodor Storm, 1851)

Krahirius

<p>Als Hinzelmeier ein Jahr bei dem weisen Meister gewesen war&comma; schrieb er seinen Eltern&comma; er habe sich nun eine Kunst erwaehlt&comma; er wolle den&quest; Stein der Weisen&quest; suchen&semi; nach zwei Jahren werde der Meister ihn lossprechen&comma; dann wolle er auf die Wanderschaft und nicht eher zurueckkehren&comma; als bis er den Stein gefunden habe&period; Dies sei eine Kunst&comma; welche noch von Niemandem erlernt worden&semi; denn auch der Meister sei eigentlich nur ein Altgesell&comma; da der Stein noch keineswegs von ihm gefunden sei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als die schoene Frau Abel diesen Brief gelesen hatte&comma; faltete sie ihre&nbsp&semi;Finger ineinander und rief&colon; "Ach&comma; er wird nimmer in den Rosengarten kommen&excl;&nbsp&semi;Es wird ihm gehen wie unseres Nachbarn Kasperle&comma; der vor zwanzig Jahren&nbsp&semi;ausgezogen und nimmer wieder nach Hause gekommen ist&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Herr Hinzelmeier aber kuesste die schoene Frau und sagte&colon; "Er musste seinen Weg gehen&excl; Ich wollte auch einmal den&quest; Stein der Weisen&quest; suchen und habe statt dessen die Rose gefunden&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>So blieb denn Hinzelmeier bei dem weisen Meister&semi; und allmaehlich ging die Zeit herum&period;-Es war schon tief in der Nacht&period; Hinzelmeier sass vor einer qualmenden Lampe ueber einen Folianten gebueckt&period; Aber es wollte ihm heute nicht gelingen&semi; er fuehlte es in seinen Adern klopfen und gaeren&comma; es ueberfiel ihn eine Angst&comma; als koenne ihm auf immer das Verstaendnis fuer die tiefe Weisheit der Formeln und Sprueche verloren gehen&comma; welche das alte Buch bewahrte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mitunter wandte er sein blasse Gesicht ins Zimmer zurueck und starrte gedankenlos in den Winkel&comma; wo die graemliche Gestalt seines Meisters vor einem niedrigen Herde zwischen gluehenden Kolben und Tiegeln hantierte&semi; mitunter&comma; wenn die Fledermaeuse an den Scheiben vorueberstrichen&comma; sah er verlangend in die Mondnacht hinaus&comma; die wie ein Zauber draussen ueber den Feldern lag&period; Neben dem Meister kauerte die Kraeuterfrau am Boden&period; Sie hatte den grauen Hauskater auf dem Schoss und staeubte ihm sanft die Funken aus dem Pelz&period; Manchmal&comma; wenn es so recht behaglich knisterte und das Tier vor angenehmem Grausen maunzte&comma; langte der Meister liebkosend nach ihm zurueck und sagte hustend&colon; "Die Katze ist die Genossin des Weisen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Ploetzlich schon von aussen her&comma; von der First des Daches&comma; das unter dem Fenster lag&comma; ein langgezogener&comma; sehnsuechtiger Laut&comma; wie dessen von allen Tieren nur die Katze und nur im Lenze maechtig ist&period; Der Kater richtete sich auf und krallte seine Klauen in die Schuerze des alten Weibes&period; Noch einmal rief es draussen&period; Da sprang das Tier mit einem derben Satz auf den Fussboden und ueber Hinzelmeiers Schultern durch die Scheiben ins Freie&comma; dass die Glasscherben klingend hinterdrein stoben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ein suesser Primelduft strich mit dem Zug ins Zimmer&period; Hinzelmeier sprang empor&period; "Es ist Fruehling&comma; Meister&excl;" rief er und warf seinen Stuhl zurueck&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Alte senkte seine Nase noch tiefer in den Tiegel&period; Hinzelmeier ging auf ihn zu und packte ihn an der Schulter&period; "Hoert Ihr's nicht&comma; Meister&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Der Meister griff sich in den graugemischten Bart und stierte den Jungen- bloed durch seine gruene Brille an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Das Eis birst&excl;" rief Hinzelmeier&comma; "es laeutet in der Luft&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Der Meister fasste ihn ums Handgelenk und begann die Pulsschlaege zu zaehlen&period; "Sechsundneunzig&excl;" sagte er bedenklich&period;—Aber Hinzelmeier achtete dessen nicht&comma; sondern verlangte seinen Abschied&semi; und noch in selber Stunde&period; Da hiess der Meister ihn Stab und Ranzen nehmen und trat mit ihm vor die Haustuer&comma; von wo sie weit ins Land hineingehen konnten&period; Die unabsehbare Ebene lag in klarem Mondenlicht zu ihren Fuessen&period; Hier standen sie still&semi; das Antlitz des Meisters war gefurcht von tausend Runzeln&comma; sein Ruecken war gebeugt&comma; sein Bart hing tief ueber seinen braunen Talar hinab&semi; er sah unsaeglich alt aus&period; Auch Hinzelmeiers Gesicht war bloss&comma; aber seine Augen leuchteten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Deine Zeit ist um"&comma; sprach der Meister zu ihm&period; "Knie nieder&comma; damit du losgesprochen werdest&excl;" Dann zog er ein weisses Staebchen aus dem Aermel und dem Knieenden dreimal damit den Nacken beruehrend&comma; sprach er&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Das Wort ist gegeben<br&sol;>Unter die Geister&semi;<br&sol;>Ruf es ins Leben&comma;<br&sol;>So bist du der Meister&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Vorhanden ist es in keinem Reich&period;<br&sol;>Es ist ein Name&comma; ein Dunst&semi;<br&sol;>Finden und schaffen zugleich&comma;<br&sol;>Das ist die Kunst&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Dann hiess er ihn aufstehen&period; Ein Froesteln durchfuhr den Juengling&comma; als er in das greise&comma; feierliche Angesicht des Meisters blickte&period; Er nahm Stab und Ranzen vom Boden und wollte von dannen gehen&comma; aber der Meister rief&colon; "Vergiss den Raben nicht&excl;" Er griff mit der hageren Faust in seinen Bart und riss ein schwarzes Haar heraus&period; Das blies er durch die Finger&semi; da schwang es sich als Rabe in die Luft&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun schwenkte er den Stab im Kreise um sein Haupt und wie er schwenkte&comma; flog der Rabe&semi; dann streckte er den Arm aus und der Vogel setzte sich auf seine Faust&period; Hierauf hob er die gruene Brille von seiner Nase&semi; und waehrend er sie auf des Raben Schnabel klemmte&comma; sprach er&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Wege sollst du weisen&comma;<br&sol;>Krahirius sollst du heissen&excl;—<&sol;p>&NewLine;<p>Da schrie der Rabe&colon; "krahira&excl; krahira&excl;" und huepfte mit ausgespreizten&nbsp&semi;Fluegeln auf Hinzelmeiers Schulter&period; Der Meister aber sprach zu diesem&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Wanderspruch und Wanderbuch<br&sol;>Hast du nun&semi; und nun genug&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Dann wies er mit dem Finger in das Tal hinab&comma; wo der unendliche Weg ueber&nbsp&semi;die Ebene lief und waehrend Hinzelmeier&comma; mit dem Reisehute gruessend&comma; in die&nbsp&semi;Fruehlingsnacht hinausging&comma; schwang Krahirius sich auf und flog zu seinen&nbsp&semi;Haeupten&period;<&sol;p>

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