Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Hinzelmeier
(Theodor Storm, 1851)

Nachbars Kasperle

<p>Da dachte Hinzelmeier&colon; "Das ist der Stein der Weisen&excl;" und ging geradewegs auf ihn zu&period; Der Mensch aber beharrte in seiner nachdenklichen Stellung&comma; nur dass er zu Hinzelmeiers Erstaunen seine grosse Nase wie Gummi elasticum ueber das Kinn herabzog&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ei&comma; lieber Herr&comma; was treibt Ihr denn da&quest;" rief Hinzelmeier&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Das weiss ich nicht"&comma; sagte der Mann&comma; "aber ich habe da eine verwuenschte&nbsp&semi;Glocke an der Muetze&comma; die mich abscheulich im Denken stoert&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Warum zupft Ihr Euch denn aber so entsetzlich an der Nase&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Oh"&comma; sagte der Mensch und liess den Nasenzipfel fahren&comma; dass er mit einem&nbsp&semi;Klapps wieder in seine alte Form zurueckschnellte—"da bitte ich um&nbsp&semi;Entschuldigung&semi; aber ich leide oftmals an Gedanken&comma; denn ich suche den&nbsp&semi;Stein der Weisen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Mein Gott&excl;" sagte Hinzelmeier&comma; "da seid Ihr wohl&comma; gar des Nachbars&nbsp&semi;Kasperle&semi; der gar nicht wieder nach Haus gekommen ist&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja"&comma; sagte der Mensch und reichte Hinzelmeier die Hand&comma; "der bin ich&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Und ich bin Nachbars Hinzelmeier"&comma; sagte dieser&comma; "und suche auch den&nbsp&semi;Stein der Weisen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Hierauf reichten sie sich noch einmal die Haende und kreuzten dabei die Finger auf eine Weise&comma; woran sie sich gegenseitig als Eingeweihte erkannten&period; Dann sagte Kasperle&colon; "Ich suche den Stein der Weisen jetzt nicht mehr&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Da reist Ihr vielleicht nach dem Rosengarten&quest;" rief Hinzelmeier&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein"&comma; sagte Kasperle&comma; "ich suche den Stein nicht mehr&semi; aber ich habe ihn bereits gefunden&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Da verstummte Hinzelmeier eine ganze Zeit lang&semi; endlich faltete er andaechtig die Haende und sagte feierlich&colon; "Es musste schon so kommen&comma; ich wusste es wohl&semi; denn ich habe vor neun Jahren den Teufel aus der Welt geschossen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Das muss sein Sohn gewesen sein"&comma; sagte der Andere&comma; "dem alten Teufel bin ich noch vorgestern begegnet&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein"&comma; sagte Hinzelmeier&comma; "es war der alte Teufel&semi; denn er hatte Hoerner vor der Stirn und einen Schwanz mit schwarzer Quaste&period; Aber erzaehlt mir doch&comma; wie Ihr den Stein gefunden habt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Das ist einfach"&comma; sagte Kasperle&semi; "dort unten im Dorfe wohnen lauter dumme Leute&comma; die nur mit Schafen und Rindvieh verkehren&semi; sie wussten nicht&comma; welchen Schatz sie besassen&semi; da habe ich ihn in einem alten Keller gefunden und mit drei Sechslingen das Pfund bezahlt&period; Und nun denke ich bereits seit gestern darueber nach&comma; wozu er nuetze sei und haette es vermutlich schon gefunden&comma; wenn mich die verwuenschte Glocke nicht dabei gestoert haette&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Lieber Herr Kollege&excl;" sagte Hinzelmeier&comma; "das ist eine hoechst kritische Frage&comma; woran vor Euch wohl noch kein Mensch gedacht hat&excl; Aber wo habt Ihr denn den Stein&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich sitze darauf"&comma; sagte Kasperle und zeigte aufstehend Hinzelmeiern den runden&comma; wachsgelben Koerper&comma; worauf er bisher gesessen hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja"&comma; sagte Hinzelmeier&comma; "es ist kein Zweifel&comma; Ihr habt ihn wirklich gefunden&semi; aber nun lasst uns bedenken&comma; wozu er nuetze sei&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Damit setzten sie sich einander gegenueber auf den Boden&comma; indem sie den&nbsp&semi;Stein zwischen sich nahmen und die Ellenbogen auf ihre Knie stuetzten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So sassen und sassen sie&semi; die Sonne ging unter&comma; der Mond ging auf und noch immer hatten sie nichts gefunden&period; Mitunter fragte der Eine&colon; "Habt Ihr's" aber der Andere schuettelte immer mit dem Kopfe und sagte&colon; "Nein&comma; ich nicht&semi; habt Ihr's&quest;" und dann antwortete der Andere&colon; "Ich auch nicht&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Krahirius ging ganz vergnuegt im Grase auf und nieder und fing sich Froesche&period; Kasperle zupfte sich schon wieder an seiner schoenen&comma; grossen Nase&semi; da ging der Mond unter und die Sonne kam herauf&semi; und Hinzelmeier fragte wieder&colon; "Habt Ihr's&quest;" und Kasperle schuettelte wieder den Kopf und sagte&colon; "Nein&comma; ich nicht&comma; habt Ihr's&quest;" und Hinzelmeier antwortete truebselig&colon; "Ich auch nicht&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Dann dachten sie wieder eine ganze Weile nach&semi; endlich sagte Hinzelmeier&colon; "So muessen wir erst die Brille polieren&comma; dann werden wir hernach schon sehen&comma; wozu er nuetze sei&period;" Und kaum hatte Hinzelmeier seine Brille abgenommen&comma; so liess er sie vor Erstaunen ins Gras fallen und rief&colon; "Ich hab es&excl; Herr Kollege&comma; man muss ihn essen&excl; Nehmt nur gefaelligst die Brille von Eurer schoenen Nase&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Da nahm auch Kasperle die Brille herunter und nachdem er seinen Stein eine&nbsp&semi;Weile betrachtet hatte&comma; sagte er&colon; "Dieses ist ein sogenannter Lederkaese&nbsp&semi;und muss mit des Himmels Hilfe gegessen werden&period; Bedienen Sie sich&comma; Herr&nbsp&semi;Kollege&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Und nun zogen beide ihre Messer aus der Tasche und hieben wacker in den&nbsp&semi;Kaese ein&period; Krahirius kam herbeigeflogen und nachdem er die Brille aus dem&nbsp&semi;Grase aufgesammelt und ueber seinen Schnabel geklemmt hatte&comma; setzte er sich&nbsp&semi;gemaechlich zwischen die Essenden und schnappte nach den Rinden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich weiss nicht"&comma; sagte Hinzelmeier&comma; nachdem der Kaese verzehrt war&comma; "mir ist unmassgeblich zumute&comma; als waere ich dem Stein der Weisen um ein Erkleckliches naeher gerueckt&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Wertester Herr Kollege"&comma; erwiderte Kasperle&comma; "Ihr sprecht mir aus der&nbsp&semi;Seele&period; So lasst uns denn ungesaeumt unsere Wanderung fortsetzen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Nach diesen Worten umarmten sie sich&semi; Kasperle ging nach Westen&comma; Hinzelmeier nach Osten und zu seinen Haeupten&comma; die Brille auf dem Schnabel&comma; flog Krahirius&period;<&sol;p>

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