Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Der Trotzkopf
(Emmy von Rhoden, 1885, empfohlenes Alter: 10 - 12 Jahre)

Kapitel 4

<p>Am Abend&comma; als Nellie und Ilse sich schlafen gelegt hatten&comma; als Fräulein Güssow bereits ihre Runde gemacht&comma; als das Licht gelöscht und alles still im Hause war&comma; rief Nellie&comma; »wachst du&comma; Ilse&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma;« antwortete diese&comma; »was soll ich&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Zieh dir leise an&comma; wir wollen dein kleiner Koffer auspacken&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ist ja aber dunkel&comma;« meinte Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O laß nur&comma; ich habe schon eine Licht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Leicht und unhörbar stieg Nellie aus ihrem Bette und ging auf Strümpfen an ihre Kommode&period; Sie zog den oberen Kasten vorsichtig heraus und nahm einen kleinen Wachsstock aus demselben&period; Nachdem sie ihn angezündet hatte&comma; stellte sie ein Buch davor&comma; damit kein Lichtschimmer durch das Fenster drang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ist doch fein&comma; nicht&quest;« fragte sie&period; »Nun eile dich aber&comma;« trieb sie Ilse&comma; die sich flüchtig ankleidete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wo hast du der Schlüssel&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Hier habe ich ihn&comma;« entgegnete Ilse und zog ihn unter dem Kopfkissen hervor&comma; »ich werde selbst aufschließen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie leuchtete mit dem Wachsstocke und hielt die Hand davor&period; Vornübergebeugt stand sie in neugieriger Erwartung&comma; der Schätze harrend&comma; die sich vor ihren Augen aufthun würden&period; Recht enttäuscht wurde sie&comma; als Ilse anfing auszupacken&period; Die erwarteten Delikatessen – Nellie war eine Freundin davon – kamen nicht zum Vorschein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; hast du keine Kuchen&quest;« fragte sie&comma; warf den Plunder heraus und durchsuchte mit der Hand bis auf den Grund&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Au&comma; au&excl;« rief sie plötzlich und fuhr mit der Hand zurück&period; »Was ist dies&quest; Ich habe mir gestochen&excl;« Und richtig&comma; ein roter Blutstropfen hing an dem kleinen Finger&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse begriff nicht&comma; woher die Verwundung kam&comma; bis sie selbst in den Koffer griff und die Ursache entdeckte&comma; – – o Schrecken&excl; das Glas mit dem Laubfrosche war zerbrochen&comma; und Nellie hatte sich an einem Glassplitter geritzt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wo nur der Frosch ist&comma;« sagte Ilse ängstlich und räumte die Scherben fort&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was&quest; – eine Frosch&quest; Eine lebendige Frosch&quest; O je – hast du ihn verpackt&quest; Wie kannst du so eine arme Tier in die Koffer thun&quest; Ohne Luft muß er tot gehen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hatte soeben den kleinen Laubfrosch gefunden&comma; – natürlich war er tot&period; Sie legte ihn auf die flache Hand und hauchte ihn an&comma; vielleicht brachte sie ihn wieder zum Leben&period; Nellie lachte sie aus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du hast die arm&comma; klein Frosch gemordet&comma;« sagte sie und nahm ihn in die Hand&period; »O&comma; er ist kaput&excl; Er kriegt keine Leben wieder&comma; niemals&excl; Morgen früh wollen wir ihn in ein Schachtel legen und unter die Linde vergraben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse sah traurig auf den Frosch und die Thränen traten ihr in die Augen&period; Sie hatte das Tierchen selbst gefangen&comma; es stets gefüttert und eine große Freude daran gehabt&comma; nun hatte sie es getötet durch eigne Schuld&period;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;005&period;jpg&quest;m&equals;1382216743&" alt&equals;"" width&equals;"700" height&equals;"558"><&sol;p>&NewLine;<p>»Wie schlecht von mir&comma; daß ich so dumm sein konnte&excl;« klagte sie sich an&period; »Ich dachte gar nicht daran&comma; als ich meine Sachen packte&comma; daß er ersticken müsse&period; Es ging so schnell –«<&sol;p>&NewLine;<p>Einigermaßen tröstete sie die Aussicht auf das Begräbnis unter der Linde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wir machen eine kleiner Hügel&comma;« sagte Nellie&comma; »und pflanzen Blumen darauf&period; Und ein klein Holzkreuz stecken wir in die Erden und schreiben daran&colon; Hier ruht Ilses Frosch&period; Er mußte sein junge Leben lassen&comma; weil ihm der Luft ausging&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Dieser komische Einfall trocknete Ilses Thränen&comma; sie mußte darüber lachen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als sie den ausgestopften Kanarienvogel ansah&comma; fand sie&comma; daß er sehr gelitten hatte&period; Das Köpfchen war ganz breit gedrückt und der eine Flügel hing herunter&period; Nellie gab ihm wieder einige Façon&period; Sie drückte den Kopf rund und versprach auch&comma; den Flügel wieder gut zu machen&period; Sie wollte ihn am andern Tage anleimen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Laß mir nur machen&comma;« sagte sie&comma; »ich werde ihm schon wieder in die Ordnung bringen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Was ist denn das&quest;« fragte sie plötzlich und hielt Ilses Blusenkleid in die Höhe&comma; »warum hast du diese schmacklose Robe eingepackt&comma; – und die alte schmutzige Stiefel&comma; – was soll damit&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Warum&quest; Darüber hatte Ilse selbst noch nicht nachgedacht&comma; aber sie war ärgerlich&comma; ihr Lieblingskostüm so verachtet zu sehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du verstehst nichts davon&comma;« sagte sie und nahm es Nellie fort&period; »Es ist mein liebster und schönster Anzug&excl; Ich mag die andern Kleider gar nicht leiden&comma; sie sitzen so fest und sehen so geziert aus&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O laß mir ihn probieren&comma;« bat Nellie&comma; »ich will ihn anziehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Dagegen hatte Ilse nichts einzuwenden&period; Sie half Nellie ankleiden und in wenigen Augenblicken stand diese in einem ganz wunderbaren Aufzuge da&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Rock war ihr zu kurz&comma; da sie etwas größer als Ilse war&comma; unter demselben sah das lange&comma; weiße Nachtgewand hervor&comma; die Bluse war stellenweise zerrissen und Nellie hatte den Aermel verfehlt und war durch ein großes Loch dicht daneben herausgefahren&comma; so daß der Aermel auf dem Rücken hing&period; Nachdem sie auch noch den schäbigen Ledergürtel um ihre zierliche Taille geschnallt hatte&comma; stand sie fertig da&comma; bis auf die Stiefel&comma; die sie nicht anziehen mochte&comma; weil sie zu schmutzig waren&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Bequem ist diese Kostüm&comma; das ist wahr&comma;« sagte sie und fing an&comma; allerhand lustige Sprünge auszuführen und sich im Kreise zu drehen&period; »Man ist so luftig – so leicht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse brach plötzlich in ein so herzhaftes Gelächter aus&comma; daß Nellie auf sie zueilte und ihr den Mund mit der Hand verschloß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du darfst nicht so toll lachen&comma;« sagte sie&comma; »du wirst uns verraten&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich kann nicht anders&comma; du siehst ja zum totlachen aus&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie trat mit dem Wachsstocke vor den kleinen Spiegel und betrachtete sich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O wie abscheulich&excl;« sagte sie und riß die Sachen herunter&comma; »wie kannst du so ein häßlicher Anzug schön finden&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse verschloß ihre Herrlichkeiten wieder in den Koffer&comma; dann wurde das Licht gelöscht und in wenigen Augenblicken schliefen die beiden Mädchen fest und tief&period;<&sol;p>

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