Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Der Trotzkopf
(Emmy von Rhoden, 1885, empfohlenes Alter: 10 - 12 Jahre)

Kapitel 8

<p>Weihnachten rückte heran und fleißig rührten sich aller Hände&period; Da wurde genäht&comma; gestickt&comma; gezeichnet&comma; Klavierstücke wurden eingeübt&comma; um die Eltern oder die Angehörigen liebevoll zu überraschen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hatte noch niemals den Vater oder die Mutter mit einer Arbeit erfreut&period; Zuweilen hatte sie eine kleine Arbeit angefangen&comma; auf dringendes Zureden ihrer Gouvernanten&comma; aber sie war nicht weit damit gekommen&period; Sie habe einmal kein Geschick dazu&comma; behauptete sie&comma; und dachte nicht daran&comma; daß es ihr nur einfach an Geduld und Ausdauer mangele&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was willst du deine Eltern geben&quest;« fragte Nellie&comma; die eifrig dabei war&comma; einen sterbenden Hirsch in Kreide zu zeichnen&comma; er sollte ein Geschenk für den Onkel in London werden&comma; der sie im Institute ausbilden ließ&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich habe noch nicht daran gedacht&comma;« entgegnete Ilse&period; »Meinst du&comma; Nellie&comma;« fügte sie nach einigem Besinnen hinzu&comma; »daß die Rose&comma; die ich jetzt zeichne&comma; dem Papa Freude machen würde&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O sicher&excl; Aber du mußt sehr fleißig sein&comma; mein klein’ Ilschen&comma; sonst wird die liebe Christfest kommen und du bist noch lang nicht fertig&period; Und was willst du deine Mutter geben&quest;« fragte Nellie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Meiner Mama&quest;« Sie dehnte ihre Frage etwas in die Länge&period; »Ich werde ihr etwas kaufen&comma;« sagte sie dann so obenhin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie war nicht damit zufrieden&period; »Kaufen&comma; das macht keine Freude&excl;« tadelte sie&period; »Warum wollen deine Finger faul sein&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nellie hat recht&comma;« mischte sich Rosi in das Gespräch&comma; die neben Ilse saß und an einer altdeutschen Decke arbeitete&period; »Deine Mama wird wenig Freude an einem gekauften Gegenstand haben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich bin zu ungeschickt&comma;« gestand Ilse offen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wir werden dir helfen und dir alles gern zeigen&comma;« versprach Rosi&period; Und Fräulein Güssow&comma; die grade hinzutrat&comma; benahm Ilse den letzten Zweifel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du kannst ein gleiches Nähkörbchen&comma; wie Annemie anfertigt&comma; arbeiten&comma; ich weiß bestimmt&comma; es wird dir gelingen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und es gelang wirklich&comma; ja weit besser&comma; als Ilse sich selbst zugetraut&period; Sie hatte eine kindliche Freude&comma; als das Körbchen so wohlgelungen in acht Tagen fix und fertig vor ihr stand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es sind noch vierzehn Tage bis Weihnachten&comma;« sagte sie zu Rosi&comma; »und ich möchte noch etwas arbeiten&comma; für Fräulein Güssow und Fräulein Raimar&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Und für meine Lori&comma; bitt’ schön&comma; meine gute Ilse&excl;« bettelte Lilli&comma; die gewöhnlich an den Mittwochnachmittagen im Arbeitssaale zugegen war und dann ihren Platz dicht bei Ilse wählte&comma; die sie&comma; wie sie sich ausdrückte&comma; zum aufessen liebte&period; »Mein’ Lori muß halt a neues Kleiderl haben&comma;« fuhr sie fort und hielt ihre Puppe in die Höhe&comma; »bescher’ ihr eins zum heil’gen Christ&period; Schau&comma; das alte da ist ja schlecht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Natürlich versprach Ilse&comma; ihr diesen Herzenswunsch zu erfüllen&comma; und zur Besiegelung drückte sie dem kleinen Liebling einen Kuß auf die roten Lippen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich habe eine famose Idee&excl;« &lpar;famos war seit kurzer Zeit Modewort im Institute&rpar; rief Ilse am Abend desselben Tages aus&comma; als sie mit Nellie allein war&period; »Ich kaufe für Lilli eine neue Puppe und kleide sie selbst an&period; Was meinst du dazu&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; das ist wirklich ein famos Gedanke&comma;« entgegnete Nellie&comma; »aber lieb Kind&comma; hast du auch an der viele Geld gedacht&comma; die so ein’ Puppe mit ihrer Siebensachen kostet&quest; Wie steht’s mit dein’ Kasse&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; das hat keine Not&comma; ich habe sehr viel Geld&excl;« versicherte Ilse sehr bestimmt&period; Und sie nahm ihr Portemonnaie aus der Kommode und zählte ihre Schätze&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Zwölf Mark&comma;« sagte sie&comma; »das ist mehr&comma; als ich brauche&comma; nicht&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie sind ein sehr schlecht’ Rechenmeister&comma; mein Fräulein&comma;« riß Nellie sie unbarmherzig aus ihrer Illusion&comma; »ich mein’&comma; Sie reichen lang’ nicht aus&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse sah die Freundin zweifelnd an&period; »Du scherzest&comma;« meinte sie&comma; »zwölf Mark ist doch furchtbar viel Geld&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Reicht lang nicht&excl;« wiederholte Nellie unerbittlich&comma; »hör zu&comma; ich will dir vorrechnen&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">1&rpar; Ein Nähtischdecken für Fräulein Raimar macht vier Mark&comma;<br&sol;> 2&rpar; ein Arbeitstaschen für Fräulein Güssow macht drei Mark&comma;<br&sol;> 3&rpar; eine schöne Geschenk für die liebe Nellie und all die andren junge Fräulein – macht – sehr viele Mark&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wo willst du Geld zu der Puppen nehmen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ach&comma;« fiel Ilse ihr ins Wort&comma; »und unser Kutscher daheim und seine drei Kinder&excl; – daran habe ich noch gar nicht gedacht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie machte ein recht betrübtes Gesicht&comma; denn sie hatte es sich gar zu reizend ausgedacht&comma; wie sie Lilli überraschen wollte&period; Nun konnte es nichts werden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nachdenklich saß sie einige Augenblicke&comma; dann leuchteten plötzlich ihre Augen freudig auf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Halt&excl;« rief sie aus&comma; »ich weiß etwas&excl; Heute abend schreibe ich an Papa und bitte ihn&comma; mir Geld zu schicken&period; Er thut es&comma; ich weiß es ganz bestimmt&period; Mein Papa ist ja ein zu reizender Papa&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Und dein’ Mutter&quest;« fragte Nellie&comma; »ist sie nicht auch ein’ sehr gütiger Frau&quest; Wie macht sie dich immer Freude mit die viel’ schöne Sachen&comma; die sie an dir schickt&period; Freust du dir sehr auf Weihnachten&quest; Ja&quest; Es ist doch schön&comma; die lieben Eltern wieder sehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse zögerte mit der Antwort&period; Es fiel ihr ein&comma; wie sie im Sommer ihrem Vater entschieden erklärt hatte&comma; zum Christfest nicht in die Heimat zu reisen&period; Ihr Sinn hatte sich nicht geändert&period; Noch hatte sie den Groll gegen die Mutter nicht überwunden&period; Trotzdem sie sich sagen mußte und zuweilen auch ganz heimlich eingestand&comma; wie nötig für ihr Wissen und ihre Ausbildung der Aufenthalt in einer tüchtigen Pension war&comma; so hielt sie immer noch an dem Gedanken fest&colon; ›Sie hat mich fortgeschickt&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich werde hier bleiben&comma;« sagte sie&comma; »ich will das Weihnachtsfest mit euch verleben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist famos&excl;« rief Nellie entzückt&comma; »ich freue mir furchtbar&comma; daß du nicht fortreisen willst&excl; All unsre Freunde reisen auch nicht&comma; und es ist so schön hier&comma; die heilige Christ&period; – Alles bekommt eine große Kiste von Haus&comma; mit allen Bescherung und Schokolad’ und Marzipan&excl; – und die Christabend wird jede Kiste aufgenagelt&comma; und ich helfe auspacken bald der eine&comma; bald der andre&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Erhältst du keine Kiste&quest;« fragte Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du weißt ja – ich hab’ kein’ Eltern – wer sollte mir beschenken&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Gar&comma; gar nichts bekommst du&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse konnte es nicht fassen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Zu Neujahr schenkt mein Onkel für mir Geld&comma; da kaufe ich mir&comma; was ich notwendig habe&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse sah die Freundin schweigend an&period; Am Abend aber schrieb sie einen langen Brief in die Heimat&comma; worin sie zuerst ihren Entschluß mitteilte&comma; daß sie die Weihnachtstage mit den Freundinnen feiern möchte&period; Dann ging sie zu dem Geldmangel über und schilderte dem Papa mit vielen zärtlichen Schmeichelnamen ihre Not&comma; und zuletzt gedachte sie mit warmen Worten Nellies&period; – »Noch eine dringende Bitte habe ich zum Schlusse&comma;« fuhr sie in ihrem Briefe fort&comma; »an Dich&comma; Mama&comma;« wollte sie schreiben&comma; aber sie besann sich und schrieb&colon; »an Euch&comma; liebe Eltern&period; Meine Freundin Nellie ist nämlich die einzige in der Pension&comma; die keine Weihnachtskiste erhalten wird&period; Sie ist eine Waise und steht ganz allein in der Welt&period; Ihr Onkel in London läßt sie zu einer Gouvernante ausbilden&period; Ist das nicht furchtbar traurig&quest; Ach&excl; und die arme Nellie ist noch so jung und immer so fröhlich&comma; ich kann mir gar nicht denken&comma; daß sie eine Gouvernante wird&excl; Es ist doch schrecklich&comma; wenn man kein liebes Vaterhaus hat&excl; – Nun wollt’ ich Euch recht von Herzen bitten&comma; Ihr möchtet die Geschenke&comma; die Ihr mir zugedacht habt&comma; zwischen mir und meiner Nellie teilen und zwei Kisten daraus machen&period; Bitte&comma; bitte&excl; Ihr schenkt mir stets so viel&comma; daß ich doch immer noch genug habe&comma; wenn es auch nur die Hälfte ist&period; Ich würde gewiß keine rechte Freude am heiligen Abend haben&comma; wenn Nellie gar nichts auszupacken hätte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ihr hattet mir Erlaubnis gegeben&comma; an den Tanzstunden nach Weihnachten teilnehmen zu dürfen&comma; und du&comma; liebe Mama&comma; versprachst mir ein neues Kleid dazu&comma; kaufe mir keins&comma; mein blaues ist noch sehr gut und ich komme damit aus&period; Schenkt Nellie dafür etwas – bitte&comma; bitte&excl;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;012&period;jpg&quest;m&equals;1382219933&" alt&equals;"" width&equals;"700" height&equals;"379"><&sol;p>&NewLine;<p>Mit diesem heißen Wunsche umarmt Euch<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"text-align&colon; right&semi;">Eure<br&sol;>dankbare Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p><em>N&period; S&period;<&sol;em> Das Geld schicke nur recht bald&comma; einziges Papachen&comma; ich habe es furchtbar nötig&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Umgehend erhielt denn auch Ilse das Gewünschte&period; Der zärtliche Papa hatte in seiner Freude über die Herzensgüte seines Kindes eine große Summe schicken wollen&comma; Frau Anne hielt ihn davon zurück&period; Sie stellte ihm vor&comma; daß es für Ilse weit besser sei&comma; wenn sie mit geringen Mitteln sich einrichten lerne und stets genügsam bleibe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ihr Wunsch&comma; Weihnachten nicht in die Heimat zu kommen&comma; wurde gern erfüllt&comma; der Papa schrieb sogar&comma; er lobe ihren verständigen Entschluß&period; Die weite Reise war im Winter nicht ratsam&period; Freilich werde er seinen Wildfang schmerzlich vermissen und es werde der Mama und ihm recht einsam sein&comma; aber er wolle sich mit dem Gedanken trösten&comma; daß das nächste Christfest desto schöner ausfallen werde&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>Beinah kränkte sie diese bereitwillige Zustimmung&comma; indes sie kam zu keinem Nachdenken darüber&comma; der Briefträger kam und brachte ihr dreißig Mark&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Dreißig Mark&excl;« jubelte Ilse&period; »Nellie&comma; nun sind wir reich&excl; – Komm&comma; laß uns gleich gehen und unsre Einkäufe machen&comma; ich kann die Zeit nicht erwarten&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O nein&comma; Kind&comma;« entgegnete Nellie bedächtig&comma; »erst müssen wir ein langer Zettel aufschreiben mit alle Sachen&comma; die wir kaufen werden&period; Wir müssen doch rechnen&comma; was sie kosten&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Daran hatte die lebhafte Ilse gar nicht gedacht&period; Ohne zu überlegen&comma; würde sie blind drauf los gekauft und am Ende wieder nicht gereicht haben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die beiden Mädchen machten sich nun daran&comma; eine Liste aufzusetzen&period; Die nötigen Geschenke wurden aufgeschrieben und von der praktischen Nellie der ungefähre Preis dahinter gesetzt&period; Als Ilse für die Kinder des Kutscher Johann ebenfalls Sachen zu kaufen aufschrieb&comma; rief Nellie&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Halt&excl; Du kannst von deine alte Sachen die Kutschermädchen schenken&comma; dann sparen wir Geld&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich habe nichts&comma;« meinte Ilse&comma; »kaufen geht schneller&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie hatte sich bereits daran gemacht&comma; in Ilses Kommode und auch im Schranke nachzusehen&comma; um sich zu überzeugen&comma; ob sie nichts fände&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Man muß sparen und nicht seine Geld aus die Fenster schmeißen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und siehe da&comma; es fand sich allerhand unter Ilses alten Sachen&period; Schürzen&comma; die sie nicht mehr trug&comma; ein Kleid&comma; das ihr zu eng und zu kurz geworden war&comma; und zuletzt noch das vorjährige Pelzzeug&comma; welches die gütigen Eltern durch neues&comma; weit kostbareres ersetzt hatten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Siehst du&comma; Verschwender&excl;« triumphierte Nellie&period; »Du weißt nicht deine große Schatze&period; Nun kaufen wir für dein’ Kutscher ein Paar warme Handschuh und fertig ist die ganze Kutschergesellschaft&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die wenigen Wochen bis zum heiligen Abend vergingen in rasender Schnelle&period; Nellie und Ilse hatten neben so mancherlei andern Arbeiten auch noch die neue Puppe anzukleiden&period; Das war für Ilse eine schwere Aufgabe&comma; und ohne ihre geschickte Freundin wäre sie niemals damit zu stande gekommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie geschickt du bist&comma; Nellie&comma;« sagte Ilse&comma; als diese der Puppe das schottische Kleid anprobierte&comma; »das hast du doch geradezu klassisch gemacht&period; Ich hätte es wirklich nicht fertig gebracht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber hast du niemals ein Kleid für dein’ Puppen genäht – oder eine Hut – oder ein Mantel&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« antwortete Ilse aufrichtig&comma; »niemals&excl; Ich habe an den toten Dingern mein Lebtag keine Freude gehabt&period; Viel lieber habe ich mit den Hunden gespielt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Da ist kein Wunder&comma; wenn du ein klein’&comma; dumm’ Ding geblieben bist&excl; Deine Hunde brauchen kein Kleid&comma;« lachte Nellie&period; »Nun mußt du auf dein’ alt’ Tage nähen lernen&comma; siehst du&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse lachte fröhlich mit und bemühte sich&comma; das weiße Batistschürzchen für die Puppe&comma; an welchem sie rings herum Spitzen setzte&comma; recht sauber und nett fertig zu bringen&period; – Einen Tag vor der Bescherung erhielten die erwachsenen Mädchen&comma; denen es Vergnügen machte&comma; die Erlaubnis&comma; die schöne&comma; große Tanne auszuputzen&period; Das war ein Fest und für Ilse ganz und gar neu&period; Niemals hatte sie sich bis dahin selbst damit befaßt&comma; und sie kannte es nicht anders&comma; als daß am Weihnachtsabend ein mit vielem kostbaren Zuckerwerk behangener Baum ihr hell entgegengestrahlt hatte&comma; – hier lernte sie kennen&comma; daß auch ohne Zuckerwerk derselbe herrlich zu schmücken war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach dem Abendbrot&comma; als die jüngeren Mädchen und auch die Engländerinnen&comma; die kein Verständnis für das harmlose Vergnügen hatten&comma; zu Bett gegangen waren&comma; begann das Werk&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Orla brachte einen großen Korb mit Tannenzapfen&comma; selbst gesucht auf den Spaziergängen im Walde&comma; und setzte denselben auf die Tafel&period; Annemie stellte zwei Schälchen mit Gummiarabikum daneben&comma; in das eine schüttete sie Silber-&comma; in das andre Goldpuder und rührte es mit einem Stäbchen um&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wer will mir helfen&comma;« rief Orla&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich&excl; ich&excl;« antwortete es von allen Seiten&semi; nur Ilse schwieg&comma; sie hatte keine Ahnung&comma; was eigentlich mit den vielen großen und kleinen Tannenzäpfchen geschehen solle&period; – Daheim verkamen dieselben unbeachtet im Walde&period; – Es sollte ihr bald kein Geheimnis mehr sein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie und Rosi hatten die Pinsel ergriffen und fingen an&comma; den unansehnlichen braunen Dingern ein goldenes oder silbernes Gewand zu geben&period; Und wie schnell das ging&period; Kaum hatten sie ein paarmal darüber gepinselt&comma; so waren sie fertig&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sieh nur&comma; Rosi&comma;« rief Melanie aus und hielt einen vergoldeten Zapfen unter die Gaslampe&comma; »ist der nicht furchtbar reizend&quest; Wundervoll&comma; nicht&quest; Gleichmäßig&comma; wirklich künstlerisch ist er vergoldet&comma; kein dunkles Pünktchen ist an ihm zu sehen&excl;« Und sie betrachtete das Prachtexemplar höchst wohlgefällig nach allen Seiten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Orla und Rosi hatten fleißig weitergepinselt und stillschweigend einen Tannenzapfen nach dem andern beiseite gelegt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist im höchsten Grade langweilig mit deinem ewigen Selbstlobe&comma;« tadelte Orla&comma; »ich habe noch nie jemand kennen gelernt&comma; der sich so vergöttert wie du&period; Pinsle lieber weiter und halte dich nicht bei unnützen Lobhudeleien auf&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie fühlte sich sehr getroffen und errötete&period; »Wie grob du bist&comma; Orla&excl;« sagte sie gereizt&comma; »du hast freilich keinen Sinn für harmlose Vergnügen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Kinder&excl;« unterbrach Fräulein Güssow&comma; die am andern Ende der Tafel saß und Aepfel und Nüsse vergoldete&comma; »keinen Streit&excl; Melanie&comma; komm zu mir&comma; du kannst mir helfen&comma; und du Ilse&comma; versuche einmal&comma; ob du Melanies Stelle ersetzen kannst&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse ließ sich das nicht zweimal sagen&period; Eilig griff sie zum Pinsel und flink und gesandt that sie ihre Arbeit&period; Orla war sehr zufrieden damit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nur nicht ganz so dick aufstreichen&comma;« mahnte sie&comma; »sonst reichen wir nicht mit unsrem Gold- und Silbervorrat&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Flora und Annemie fertigten Netze aus Goldpapier an&period; »Eine geisttötende Arbeit&comma;« flüsterte Flora Annemie zu&comma; »und außerdem ohne jede Poesie&period; Warum die Tanne mit allerhand Tand aufputzen&quest; Ist sie nicht am herrlichsten in ihrem duftigen&comma; grünen Waldkleide&quest; – Lichter vom gelben Wachsstocke in ihr dunkles Nadelhaar gesteckt&comma; – ein goldener Stern hoch oben auf ihrer schlanken Spitze&comma; – schwebend – strahlend&excl; – das nenn’ ich Poesie&excl;« –<&sol;p>&NewLine;<p>Hier hielt sich Annemie nicht mehr&comma; sie bekam einen solchen Lachreiz&comma; daß sie aufsprang und hinauslief&comma; um sich draußen erst auszulachen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Dicht unter dem Baume standen Grete und Nellie&period; Letztere hoch auf einer Trittleiter&comma; eine große Düte Salz in der Hand haltend&period; Die andre mit einem Leimtiegel in der Hand war ihr Handlanger&period; Das heißt&comma; sie reichte Nellie den Pinsel zu&comma; damit diese die Zweige mit dem Leim bestrich&comma; bevor sie Salz darauf warf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Jetzt bin ich eine große Sturmwind und mache der Baum voller Schnee&comma;« scherzte Nellie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wirklich&excl; – die Zweige werden weiß&excl;« rief Ilse und verließ einen Augenblick ihre Arbeit&comma; um sich das Schneetreiben genau anzusehen&period; »Das ist aber klassisch&excl; Das gefällt mir&excl; Nein&comma; das sieht zu reizend aus&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Freilich fiel ein großer Teil Salz unter den Baum&comma; indes Nellie ließ sich die Mühe nicht verdrießen&comma; immer wieder kehrte sie dasselbe zusammen und strich es mit der Hand dick auf den Leim&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du alt’ Baum wirfst sonst alles Schnee auf die Erde&comma;« meinte sie&period; »Aber das ist schlechte Arbeit&comma; alle meiner Finger kleben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Rosi trat jetzt auch an den Baum heran&comma; um ihn mit den glänzenden Tannenzapfen zu schmücken&period; Sie sah heute ganz anders aus als sonst&period; Ihre sonst so gleichmäßigen Züge trugen den Ausdruck froher Erwartung&comma; ihre milden Augen strahlten und rosig waren ihre Wangen angehaucht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O du selige&comma; o du fröhliche Weihnachtszeit&comma;« summte sie mit ihrer frischen Stimme leise vor sich hin&comma; und Fräulein Güssow rief ihr zu&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Singe nur laut heraus&comma; Rosi&comma; das bringt uns bei unsrer Arbeit so recht in die echte Weihnachtsstimmung&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wir wollen alle singen&excl;« riefen Grete und Annemie&comma; »bitte&comma; Fräulein Güssow&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Meinetwegen&comma; aber hübsch gedämpft&comma; Kinder&comma; damit die Kleinen nicht davon erwachen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und nun erklang aus den jugendlichen Kehlen das schöne Lied vierstimmig&period; – – Die junge Lehrerin senkte den Kopf herab&comma; – der Gesang stimmte sie traurig&period; Ihre Kindheit – ihre erste Jugendzeit stand mit einemmal lebendig vor ihrer Seele&period; – – Was hatte sie gehofft – – und wie hatten sich ihre Träume erfüllt&excl; – – Durch ihre eigne Schuld&excl; –<&sol;p>&NewLine;<p>Mitten im Gesange wurde plötzlich die Thür geöffnet und Fräulein Raimar&comma; begleitet von Herrn Doktor Althoff&comma; trat herein&period; Sie hatten soeben eine notwendige Besprechung in der Vorsteherin Zimmer beendet&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das war eine Ueberraschung&comma; die niemand vermutet hatte&period; Der Gesang verstummte und die Mädchen wurden mehr oder weniger verlegen&comma; als der Gegenstand ihrer stillen Verehrung so unerwartet vor ihnen stand&period; Flora errötete bis an die Haarwurzeln&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; warum singt ihr nicht weiter&comma; Kinder&quest;« fragte die Vorsteherin&period; »Laßt euch nicht stören durch unsre Gegenwart&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber es wollte nicht wieder so recht in Zug kommen&period; Orla setzte zwar ein&comma; aber falsch&comma; sie war sehr wenig musikalisch&period; – Annemie mußte über den Mißton lachen&comma; und da Lachen ansteckt&comma; – stimmten die übrigen ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;013&period;jpg&quest;m&equals;1382219999&" alt&equals;"" width&equals;"492" height&equals;"700"><&sol;p>&NewLine;<p>»Was machen Sie denn&comma; Miß Nellie&quest;« fragte Doktor Althoff und trat auf sie zu&period; »Warum verstecken Sie Ihre Hände so ängstlich&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Er lächelte sie an&period; Flora warf einen verstohlenen Blick auf ihn&comma; und bevor sie sich zur Ruhe legte&comma; schrieb sie in ihr Tagebuch&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Er hat sie angelächelt&excl; Beneidenswerte Nellie&excl; – Bezaubernd – hinreißend – sah er in diesem Augenblicke aus&excl; Die geistvollen&comma; dunklen Augen sprühten Feuer – um die schmalen Lippen zuckte es sarkastisch – wunderbare Perlenzähne schimmerten durch den dunkelblonden Bart&period; – Aber Nellie ist kokett&excl; Leider&excl; – Dieser Augenaufschlag&excl;« –<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma;« entgegnete Nellie höchst verlegen&comma; »ich habe die Finger verklebt mit der häßliche Leim&excl;« und schnell lief sie hinaus&comma; um sich gründlich zu reinigen&period; Doktor Althoff sah ihr wohlgefällig nach&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nellie spricht doch sehr schlecht deutsch&comma;« bemerkte Flora etwas spöttisch&comma; »ich begreife das eigentlich nicht&period; Ein Jahr ist sie bereits in der Pension und wie falsch drückt sie sich noch immer aus&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie hatte ihre Bemerkung so laut gemacht&comma; daß der junge Lehrer sie hören mußte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die deutsche Sprache ist schwer zu erlernen&comma; Flora&comma;« entgegnete er&comma; »und ich muß gestehen&comma; Nellie hat in dem einen Jahre schon sehr gute Fortschritte gemacht&period; Uebrigens klingen die kleinen Schnitzer&comma; die sie zuweilen macht&comma; ganz allerliebst und naiv&comma; – wir wollen sie nicht deshalb verdammen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar blickte etwas erstaunt auf den Sprechenden&comma; der sich so warm Nellies annahm&period; Vielleicht fand sie seine Entschuldigung in Gegenwart der übrigen Mädchen nicht ganz passend&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ist sehr spät&comma; Kinder&comma;« unterbrach sie das Thema&comma; »wollt ihr nicht für heute aufhören und morgen in eurer Arbeit fortfahren&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber die Mädchen baten so sehr&comma; heute schon ihr Werk vollenden zu dürfen&comma; daß sie die Erlaubnis erhielten&period; Zu Floras Aerger&comma; welche die Zeit nicht abwarten konnte&comma; bis sie die vielen großartigen Gedanken&comma; die in ihrem Kopfe spukten&comma; erst schwarz auf weiß vor sich hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar und Doktor Althoff entfernten sich und Nellie trat gleich darauf wieder in das Zimmer&period; Flora konnte nicht umhin&comma; ihr einen kleinen Seitenhieb zu versetzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Warum verstecktest du deine Hände auf dem Rücken&quest;« fragte sie&period; »Ich fand das furchtbar komisch von dir&period; Du dachtest wohl&comma; Doktor Althoff wolle dir die Hand geben&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die arme Nellie war über diesen Angriff so erschrocken&comma; daß sie nicht darauf antworten konnte&period; Aber Ilse half ihrer Freundin aus der Verlegenheit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich finde nichts Komisches darin&comma; Flora&comma;« sagte sie lustig&comma; »wenn Nellie nicht gern beschmutzte Finger sehen lassen will&semi; aber daß du ihr deine eignen Gedanken zutraust&comma; das finde ich komisch&excl; – Ja&comma; ja&comma; Florchen&comma; du bist erkannt&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Flora errötete&comma; aber sie war klug und antwortete nur mit einem wegwerfenden Achselzucken&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>Alle Vorbereitungen waren zu Ende&period; Die Mädchen trugen Ketten&comma; Netze&comma; kurz allen Schmuck herbei&comma; um den Baum zu behängen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wie er sich füllte&excl; Wie festlich geschmückt er bald dastand&excl; Ilse bewunderte hauptsächlich die glänzenden Tannenzapfen&comma; die sich zwischen den dunklen Nadeln ganz herrlich ausnahmen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie ein Märchenbaum&excl;« rief sie fröhlich&comma; und »Bäumchen rüttle dich und schüttle dich&excl;« setzte sie übermütig hinzu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; nein&excl;« rief Nellie in komischem Ernste&comma; »nicht schüttle und rüttle dir&comma; Baumchen&comma; es fallt sonst all der Salz von deiner Nadel und ich muß mir noch einmal die Finger zerkleben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nie in meinem Leben sah ich einen so schönen Christbaum&excl;« erklärte Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wir sind noch nicht fertig&comma; Ilse&comma;« entgegnete Fräulein Güssow&comma; »bald hätte ich das Gold- und Silberhaar vergessen&period;« – Und nun begann sie feine Fäden rings um den Baum zu spinnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie schön&excl; wie schön&excl;« jubelte Ilse und schlug wie ein Kind vor Freude in die Hände&period; Dann nahm sie Nellie in den Arm und tanzte mit ihr um den Baum&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du wirst mit deiner lauten Freude die Schlafenden aufwecken&comma;« ermahnte Fräulein Güssow&semi; aber sie sah Ilse mit inniger Teilnahme an&period; – Es gab eine Zeit&comma; wo auch sie so fröhlich hinausgejubelt hatte in die Welt&comma; – bis der Sturm kam und ihr die Blüte des Frohsinns abstreifte und verwehte&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>»Geht nun zu Bett&comma; Kinder&comma;« bat sie&comma; »aber leise&comma; hört ihr&quest; Gute Nacht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Gute Nacht&comma; gute Nacht&excl;« rief es zurück und Ilse setzte hinzu&colon; »Ach&comma; Fräulein&excl; Wenn es doch erst morgen wäre&excl;« –<&sol;p>&NewLine;<p>Das war ein Leben am andern Tage&excl; Die Mädchen waren ganz außer Rand und Band&period; Ilse war ausgelassen fröhlich und Nellie stand ihr darin bei&period; Annemie lachte über jede Kleinigkeit&comma; ja selbst Rosi&comma; die stets Vernünftige&comma; machte heute eine Ausnahme und schloß sich der allgemeinen Stimmung an&period; Als Flora ein selbstgedichtetes Weihnachtslied zum besten gab&comma; und die ganze übermütige Schar sie dabei auslachte&comma; lachte Rosi mit&comma; – nur als Nellie an zu necken fing&comma; bat sie sanft&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte&comma; Nellie&comma; nicht spotten&excl; Wir haben die arme Flora schon genug gekränkt&comma; als wir sie auslachten&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie und Grete waren die einzigen&comma; die eine leise Verstimmung nicht unterdrücken konnten&period; Sie hatten gehofft&comma; Weihnachten zu Hause verleben zu können&comma; und waren enttäuscht&comma; als die Eltern ihnen nicht die Erlaubnis gaben&comma; weil sie es nicht passend fanden&comma; daß junge Mädchen allein eine so weite Reise machten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie fand diesen Grund geradezu furchtbar kränkend&period; »Als ob ich noch ein Kind wäre&excl;« sprach sie ärgerlich zu Orla&period; »Ich bin siebzehn Jahre alt&excl; Und doch wahrhaftig alt und verständig genug&comma; uns beide zu schützen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber du bist hübsch&comma;« entgegnete die Angeredete mit leichter Ironie&comma; »und das ist gefährlich&period; Denk’ einmal&comma; wenn dir unterwegs ein Abenteuer begegnete&excl; Das wäre doch furchtbar schrecklich&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich bitte dich&comma; Orla&comma; verschone mich mit deinen albernen Spöttereien&excl;« wehrte Melanie entrüstet ab&period; Aber sie fühlte sich doch in ihrem Inneren geschmeichelt&comma; die kleine Eitelkeit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du hörst es ja doch gern&comma; Herzchen&comma;« lachte Orla&period; »Warum auch nicht&quest; Hübsch zu sein ist ja keine Schande&comma; – besonders wenn man so wenig eitel ist wie du&excl; Uebrigens tröste dich mit uns&comma; wir sind ja fast alle zurückgeblieben&comma; bis auf die wenigen Pensionärinnen&comma; die in der Nachbarschaft wohnen&comma; und die vier Engländerinnen&comma; die Miß Lead wieder zurück in ihre Heimat bringt&period; – Störe nicht unsre fröhliche Laune durch ein verstimmtes Gesicht&period; Sieh doch nur Lilli an&comma; – kannst du bei dem Anblicke so seliger Freude noch mißmutig sein&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das Kind lief nämlich von einer zur andern&comma; treppauf&comma; treppab und fragte jede Viertelstunde&comma; ob es noch nicht dunkel würde&comma; und ob das liebe Christkindl noch nit bald käm&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>Endlich&comma; endlich brach der Abend herein&period; Die Vorsteherin und Fräulein Güssow verweilten schon seit zwei Uhr in dem großen Saale&comma; und in einer Klasse&comma; die dicht daneben lag&comma; saßen erwartungsvoll die Pensionärinnen&period; Natürlich im Dunkeln&comma; denn Licht durfte vor der Bescherung nicht angesteckt werden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Lilli fühlte sich etwas unheimlich in der Finsternis&period; Sie kletterte auf Ilses Schoß und schlang den Arm um ihren Hals&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Kommt denn das Christkindl noch nit bald&quest;« fragte sie wieder&period; »Schau&comma; es ist halt schon stockfinster&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun bald&comma;« tröstete Ilse und drückte Lilli zärtlich an sich&period; Das Anschmiegen des Kindes that ihr so wohl und seine Liebe machte sie so glücklich&period; »Bald kommt das Christkind&comma; ach&comma; und wie schön wird das sein&excl; – Soll ich dir ein Märchen erzählen&comma; damit dir die Zeit schneller vergeht&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitt schön&excl; Vom Hansel und Gretel&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hatte indes kaum begonnen »es war einmal«&comma; als Lilli ihr den Mund zuhielt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nit weiter&excl;« unterbrach sie&comma; »ich mag das heut nit hören&excl; Ich muß immer an das Christkindl denken&period; Kennst du das liebe Christkindl&comma; Ilse&quest; Hast du’s schon g’schaut&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« sagte Ilse&comma; »gesehen habe ich es noch niemals&period; Niemand kann es sehen&comma; es wohnt nicht auf der Erde&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wohnt es im Himmel&quest;« fragte Lilli&period; »Schau&comma; da möcht’ ich halt auch wohnen&comma; da ist’s schön&comma; nit&quest; Da singen die lieben Englein&comma; und die lieben Englein&comma; die wohnten früher auf der Erde&comma; das waren die artigen Kinder&comma; nit&quest; – Der liebe Gott hat sie in sein Himmelreich geholt&comma; nit wahr&comma; Ilse&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Worte des Kindes riefen sentimentale Ahnungen in Flora hervor&comma; sie war auch im Begriff&comma; dieselben auszusprechen&comma; als Nellie ihr das Wort abschnitt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was schwatzt der kleine Kind für Zeug&quest;« sagte sie und streichelte liebkosend Lillis Hand&period; »Wo hast du dies gehört&quest; Keiner Mensch hat noch in der Himmel geschaut&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber die Mama hat’s gesagt&comma; – sie weiß es&comma; nit wahr&comma; Ilse&quest;« rief Lilli heftig&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die gab ihr keine Antwort darauf&comma; sie versuchte&comma; das Kind auf andre Gedanken zu bringen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Möchtest du wieder zu deiner Mama&quest;« fragte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« entgegnete Lilli&comma; »ich bleib’ lieber bei euch&period; Die Mama kümmert sich halt so wenig um mich&comma; sie hat kein’ Zeit&period; Sie muß immer studieren&comma;« setzte sie altklug hinzu&period; »Alle Abend geht sie ins Theater&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Denn es kümmert sich ka Katzerl – ka Hunderl um mi&excl;« recitierte Flora schwärmerisch&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Komm zu mir&comma; Lilli&comma;« bat Melanie&comma; »ich will dir eine herrliche Weihnachtsgeschichte erzählen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitt’&comma; bitt’&comma; laß mich bei Ilse bleiben&comma; Melanie&comma; ich will ganz gewiß recht genau zuhören auf dein G’schicht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und während Melanie ihre Erzählung zum besten giebt&comma; wollen wir einen Blick in den Weihnachtssaal werfen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die beiden Damen waren so ziemlich fertig mit ihrer großen Arbeit&period; Fräulein Güssow war dabei&comma; noch einige versiegelte Pakete auf verschiedene Plätze zu verteilen&period; Es waren in denselben die Geschenke enthalten&comma; welche die junge Welt sich untereinander bescherte&period; Der Name der Empfängerin war darauf geschrieben&comma; die Geberin mußte erraten werden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar stand neben dem Gärtner&comma; der eifrig beschäftigt war&comma; die angekommenen Kisten zu öffnen&comma; die Deckel wurden lose wieder darauf gelegt&comma; denn das Auspacken besorgten die Empfängerinnen selbst&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nur mit Lilli wurde eine Ausnahme gemacht&comma; Fräulein Raimar packte deren Kiste aus und schüttelte den Kopf&comma; als sie damit beschäftigt war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sehen Sie nur den Tand&comma; liebe Freundin&comma;« sagte sie&period; »Nicht ein vernünftiges Stück finde ich dabei&period; Zwei weiße Kleider&comma; so kurz&comma; daß sie dem Kinde kaum bis an die Knie reichen&comma; aber schön gestickt&comma; hier eine breite rosa Atlasschärpe&comma; ein kleiner Hermelinmuff&comma; ein Paar feine Saffianstiefel und eine Puppe im Ballstaat&period; Und vieles Zuckerwerk – das ist alles&excl; Warme Strümpfe und eine warme Decke&comma; um die ich so sehr gebeten&comma; und die dem Kinde so nötig sind&comma; – sie fehlen ganz&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Hier scheint ein Brief für Sie zu sein&comma;« sagte Fräulein Güssow und nahm ein duftiges rosa Billet von der Erde auf&period; Wahrscheinlich war dasselbe aus dem Muff gefallen&comma; den die Vorsteherin noch in der Hand hielt&period; Sie erbrach das an sie gerichtete Schreiben und las wie folgt&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich ersuche Sie freundlich&comma; meiner Lilli die Kleinigkeiten unter den Baum zu legen&period; Hoffentlich ist das liebe Herzl recht gesund&period; Nun ich hab halt nit nötig&comma; mich zu sorgen&comma; weiß ich doch das goldene Fischel in so gute Händ&excl; – Wollne Strümpf und a Jackerl hab i halt nit mitgeschickt&comma; i wünsch das Kind nit zu verwöhnen&period; Es soll immer a weiß Kleiderl anziehn&comma; – Hals frei und Arme frei&comma; – so ist sie’s gewohnt&comma; und dabei möcht ich’s halt lassen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Geben Sie mein Herzblatterl tausend Schmazerl&comma; und daß es die Mama nit vergißt&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit dankbaren Grüßen verbleib ich<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"text-align&colon; right&semi;">Ihre<br&sol;>ergebene Toni Lubauer&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>»Weiße Kleider und dünne Strümpfe&excl;« wiederholte Fräulein Raimar kopfschüttelnd&period; »Es ist gut&comma; daß wir für einiges gesorgt haben&comma; ich könnte es nicht vor mir selbst verantworten&comma; das kleine Ding so durchsichtig und wenig bekleidet zu sehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die junge Lehrerin stimmte bei und warf einen recht befriedigten Blick auf all die schönen und nützlichen Sachen&comma; die auf Lillis Tischchen aufgebaut lagen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Gärtner war mit seiner Arbeit fertig und hatte das Zimmer verlassen – die Damen zündeten die Lichter des Baumes an&comma; und als auch das geschehen war&comma; ergriff die Vorsteherin eine silberne Klingel und läutete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wie mit einem Zauberschlage flogen die Flügelthüren auf und die junge Schar stürmte herein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einen Augenblick standen sie wie geblendet da&period; So plötzlich aus der Dunkelheit in das helle Licht&comma; – der Kontrast war fast zu grell&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Lilli besonders stand wie gebannt da und hielt Ilses Hand krampfhaft fest&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Komm&comma;« redete Fräulein Raimar sie an&comma; »ich will dich an deinen Tisch führen&comma; du bist ja ganz stumm geworden&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Als das Kind vor seiner Bescherung stand&comma; kehrte seine Lebhaftigkeit zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die schöne Puppe&excl;« rief es entzückt und schlug die Händchen zusammen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die ist aber halt zu schön&excl; Meine alte Lori ist lang nit so süß&excl; – Und ein Strohhüterl hat sie auf – ach Gotterl&excl; und die langen Zopferl&excl; Und ein Schultascherl tragt sie am Arm&excl; Bitt schön&comma; Fräulein&comma; darf ich sie in die Hand nehmen&quest; Ich möcht sie ganz nah anschaun&excl; Bitt schön&comma; erlaube mir’s&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar erfüllte gern die Bitte des Kindes&comma; das behutsam sein Püppchen in den Arm nahm&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie kann die Augerl schließen&excl;« fuhr dasselbe fort&period; »Schau&comma; Fräulein&comma; sie will schlafen&excl;« Das Kind war ganz außer sich vor Entzücken bei dieser Entdeckung und hielt sein Plappermäulchen nicht einen Augenblick still&period; »Meine Lori hat die Aeugerl immer auf&comma; sie kann nit schlafen&comma; nit wahr&comma; Fräulein&quest; Die ist dumm&comma; lang nit so gescheit wie diese&period; – Hast du mir die Puppe geschenkt&comma; Fräulein&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« entgegnete diese&comma; die sich an Lillis jubelnder Freude erquickte&period; »Ilse und Nellie haben sie dir angezogen&period; Aber sieh einmal&comma; hier hast du noch eine Puppe&comma; die hat dir deine Mama geschenkt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Kaum einen Blick hatte sie für die kostbare Balldame&period; »Die ist mir zu geputzt&comma;« sagte sie&comma; »die kann ich doch nit in das Bett legen&excl; Die kann mein Kind nit sein&excl;« – Und mit der Puppe im Arme lief sie zu Ilse&comma; um sich zu bedanken&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Diese aber war sehr beschäftigt&period; Sie packte ihre Kiste aus und hatte nicht Zeit&comma; an etwas anderes zu denken&period; »Später&comma; Liebling&comma;« sagte sie&comma; und fertigte die Kleine mit einem flüchtigen Kuß ab&period; – Soeben hielt sie einen prächtigen rosa Wollstoff in der Hand und Nellie stand neben ihr und bewunderte denselben lebhaft&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O wie süß&excl;« rief sie&period; »Wie von Spinnweb so fein&excl; Und wie er dir kleidet&comma;« fuhr sie fort und hielt den Stoff der Freundin an&comma; »das wird ein schön’ Tanzstundenkleid&excl; Du wirst dir wie eine Fee darin machen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse aber war gar nicht recht vergnügt über das kostbare Geschenk&comma; es malte sich sogar etwas wie Enttäuschung in ihren Zügen&period; Warum mochten die Eltern ihre Bitte nicht berücksichtigt&comma; ja nicht einmal eine Antwort darauf gegeben haben&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Und Nellie war so gut – so neidlos teilte sie ihre Freude&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So mochte auch Fräulein Güssow denken&comma; die näher getreten war&period; Sie legte den Arm um Nellies Schulter und fragte&colon; »Warum packst du nicht deine eigene Kiste aus&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Meine Kiste&quest;« wiederholte Nellie&period; »O Fräulein&comma; Sie spaßen&excl; Für mir giebt es das nicht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse horchte auf&period; Einen schnellen&comma; fragenden Blick warf sie der jungen Lehrerin zu und diese antwortete mit einem geheimnisvollen Lächeln&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wer weiß&excl;« fuhr sie fort&comma; »sieh einmal nach&comma; vielleicht hat eine gütige Fee dir etwas beschert&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse erhob sich schnell aus ihrer knieenden Stellung und nahm die Freundin unter den Arm&period; »Komm&comma;« sagte sie&comma; »wir wollen suchen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Kiste an Kiste stand da in der Reihe&comma; jede indes war bereits in Besitz genommen&comma; Ilses Auge aber flog voraus&period; Sie hatte am Ende des Saales eine herrenlose Kiste entdeckt&comma; dorthin zog sie Nellie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und richtig&comma; da stand mit großen Buchstaben auf dem Deckel&colon; »An Miß Nellie Grey&period;« – Es war kein Zweifel&comma; die Adresse lautete an sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; was ist dies&excl;« rief Nellie überrascht und ihre Wangen röteten sich&comma; »wer hat an mir gedacht&quest; Ist es gewiß für mir&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; sie ist wirklich für dich&comma;« versicherte Ilse strahlend&comma; denn nun hatte sie erst die echte Weihnachtsfreude&comma; »nimm nur den Deckel hoch&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Immer noch etwas zögernd folgte Nellie dieser Aufforderung&period; Welche Ueberraschung&excl; Da lag obenauf ein gleicher Stoff in blaßblau&comma; wie sie soeben denselben in rosa bei Ilse bewundert&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und wie sie nun weiter auspackten&comma; jetzt eine jede ihre eigene Kiste&comma; da hielten sie sich jubelnd stets die gleichen Herrlichkeiten entgegen&period; Bald war es eine gestickte Schürze&comma; dann kamen farbige Strümpfe an die Reihe&comma; Handschuhe&comma; sogar die Korallenkette&comma; die schon lange ein sehnlicher Wunsch Ilses war&comma; fehlte bei Nellies Bescherung nicht&period; Auch die vielen Leckereien waren gleichmäßig verteilt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hatte in einem Karton mit Briefpapier einen langen zärtlichen Brief der Eltern gefunden und als Nellie den ihrigen öffnete&comma; lag auch für sie ein kleines Briefchen darin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>»Meine liebe Nellie&comma;« schrieb Ilses Mama&comma; »ich darf Sie doch so nennen als meiner Ilse liebste Freundin&quest; Mein Mann und ich möchten Ihnen so gern einen kleinen Beweis geben&comma; wie dankbar wir Ihnen sind für die Liebe und Freundschaft&comma; die Sie stets unsrem Kinde zu teil werden ließen&period; Zwei Freundinnen aber müssen auch gleiche Freuden haben – und mit diesem Gedanken bitten wir Sie herzlich&comma; den Inhalt der Kiste freundlich anzunehmen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit dem aufrichtigen Wunsche&comma; daß Sie auch fernerhin unsrer Ilse eine treue Freundin bleiben mögen&comma; grüßt Sie herzlich<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"text-align&colon; right&semi;">Anne Macket&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie fiel Ilse um den Hals und vermochte kein Wort hervorzubringen&period; Die Rührung schnürte ihr die Kehle zu – Thränen waren seltene Gäste bei unsrer Nellie&period; Das frühverwaiste Mädchen&comma; das sich von klein auf stets bei Verwandten herumdrücken mußte&comma; dem das Sonnenlicht der elterlichen Liebe fehlte&comma; hatte das Weinen beinah verlernt&period; Wer hätte auch auf seine Thränen achten sollen&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>»Dein Mutter ist ein Engel&excl;« brachte sie endlich&comma; so halb unterdrückt&comma; heraus&period; »Wie soll ich sie für alles danken&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; meine Mama ist sehr gut&excl;« bestätigte Ilse&comma; und zum erstenmal stieg ein warmes&comma; zärtliches Gefühl für dieselbe in ihrem Herzen auf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Für sentimentale Stimmungen waren Ilse und Nellie indes nicht angethan&comma; und als erstere ein Stück Marzipan der Freundin in den Mund steckte&comma; war die Rührung zu Ende&period; Thränenden Auges verzehrte es Nellie&comma; und dieser Anblick kam Ilse so possierlich vor&comma; daß sie lachen mußte&comma; – natürlich stimmte Nellie ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Seid ihr fertig&comma; Kinder&quest; Habt ihr alle eure Kisten ausgepackt&excl;« rief Fräulein Raimar und unterbrach das Gewirr von Stimmen&comma; das laut und lebhaft durcheinander klang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; ja&excl;« rief es zurück und nun beeiferte sich eine jede&comma; die heimatliche Bescherung vorzuzeigen&comma; und die Vorsteherin blickte in lauter freudig erregte und zufriedene Gesichter&period; Nur Flora sah etwas enttäuscht aus&period; Sie hatte anstatt »Jean Pauls Werke«&comma; die sie sich so glühend gewünscht&comma; »Schlossers Weltgeschichte« erhalten mit dem Versprechen vom Papa&comma; daß&comma; wenn sie erst reifer für solche Lektüre sei&comma; sie dieses Werk erhalten werde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Reifer&excl; Es klang ihr wie bittrer Hohn&period; Sie fühlte sich mit ihren sechzehn Jahren schon so überreif&comma; daß sie selbst poetische Werke in das Leben rief – und sie – sie sollte nicht »Jean Paul« lesen&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Nachdem die Geschenke der Eltern auf eine leer gelassene Tafel aufgebaut waren&comma; und nachdem die Mädchen auch diejenigen der Lehrerinnen in Empfang genommen hatten&comma; kamen endlich die versiegelten und verpackten Ueberraschungen an die Reihe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da kamen denn allerhand drollige Dinge zum Vorschein und der Jubel und das Lachen wollten kein Ende nehmen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Flora hatte soeben einen langen&comma; blauen Strumpf aus zahllosen Papieren herausgewickelt und hielt ihn hoch in der Hand&period; Etwas verwundert drehte sie diese wunderbare Gabe nach allen Seiten&comma; die ironische Anspielung fiel ihr nicht sogleich ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ein Strumpf&quest;« fragte sie&comma; »was soll ich damit&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Er ist dein Wappen&comma; lieber Blaustrumpf&comma;« belehrte sie Orla&period; »Die Idee ist wirklich famos&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Er ist von dir&excl;« beschuldigte sie Flora&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Leider nein&comma;« entgegnete Orla&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Annemie lachte so laut und herzhaft&comma; daß sie sich als die Geberin verriet&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Bist du mir böse&comma; Flora&quest;« fragte sie gutmütig&period;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;014&period;jpg&quest;m&equals;1382220151&" alt&equals;"" width&equals;"505" height&equals;"700"><&sol;p>&NewLine;<p>Sonderbare Frage&excl; Ganz im Gegenteil&comma; Flora fühlte sich höchst geschmeichelt&comma; daß man sie zu den Blaustrümpfen zählte&period; Der gestickte Schlips&comma; den Annemie in den Strumpf versteckt hatte&comma; erfreute sie nicht halb so wie die dichterische Anerkennung&period; – In bester Stimmung löste sie jetzt den Bindfaden von einem Pappkasten&period; Derselbe war eng damit umschnürt&period; Auf dem Deckel war ein Weinglas gemalt und mit großen Buchstaben stand »Vorsicht« daneben geschrieben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ganz behutsam nahm sie denn auch den Deckel ab&comma; warf die Papierschnitzel heraus und fand in feines Seidenpapier eingeschlagen ein zerbrochenes Herz von Bisquit&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie abscheulich von dir&comma; Nellie&excl;« rief sie gekränkt und wandte sich sofort an die richtige Adresse&period; Das Herz warf sie achtlos beiseite&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nicht so hitzig&comma; Flora&comma;« riet Grete&comma; »sieh doch das zerbrochene Herz erst näher an&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Zögernd entschloß sie sich dazu&comma; und als sie ein reizendes&comma; kleines Toilettekissen höchst künstlich verborgen entdeckte&comma; söhnte sie sich einigermaßen mit der bösen Nellie aus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber nicht Flora allein&comma; auch all die übrigen mußten manche kleine Neckerei in den Kauf nehmen&comma; so manche schwache Seite wurde an das Tageslicht gefördert und schonungslos gegeißelt&period; Die Vorsteherin wachte darüber&comma; daß diese Reibereien stets in den Grenzen des Scherzes blieben&semi; im allgemeinen hielt sie dieselben für ein gutes Mittel&comma; sich gegenseitig auf die Fehler aufmerksam zu machen&comma; es half oft mehr als alle ernsten Ermahnungen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie stand vor einem großen Berg Eßwaren&comma; die sie aus ihren Paketen&comma; in welchen sie außer einem kleinen Geschenke immer noch nebenbei allerhand Süßigkeiten fand&comma; herausgewickelt hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Schokolade&comma; Marzipan&comma; Apfelsinen&comma; Rosinen und Mandeln&comma; Lebkuchen&comma; und in einem reizenden Kasten von Porzellan zwei saure Gurken&period; Diese waren eine besondere Lieblingsspeise von ihr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie lachte und fragte&comma; ob sie ein so hungrig Mädchen sei&period; »O&comma; da ist ja noch ein Paket&comma;« fuhr sie fort&comma; »was für ein leckerer Bissen wird wohl darin sein&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber sie irrte sich&comma; diesmal kam ein Buch zum Vorschein und wie sie es aufschlug&comma; las sie auf dem Titelblatte&colon; »Deutsche Grammatik&period;« Ein Blatt Papier mit einem kleinen Gedichte lag dabei&period; Nellie las es vor&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">»Lerne fleißig die deutsche Sprache –<br&sol;>Willst du begreifen holde Poesie&period;<br&sol;>Dies Buch ist einer Verkannten Rache&comma;<br&sol;>Die du verstanden hast noch nie&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Flora&excl;« rief Nellie&period; »Du hast mir mit deine edle Rache sehr beschämt&excl; Ich werde lernen aus dieser Buch und dir verstehen&excl; – Komm&comma; gieb dein’ Hand&comma; ich verspreche dich&comma; daß ich nie wieder dein’ holde Poesie auslachen will&comma; und wenn sie voll lauter zerbrochene Herzen ist&period;« –<&sol;p>&NewLine;<p>Orla hatte unter anderm einen Klemmer erhalten und – o Schrecken&excl; auch ein Etui mit Cigaretten&period; Fräulein Raimar stand neben ihr und sah das verräterische Ding&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was ist denn das&quest;« fragte sie&period; »Ich will nicht hoffen&comma; Orla&comma; daß du wie eine Emanzipierte rauchst&excl; Du würdest mich sehr erzürnen&comma; wenn das der Fall wäre&period; Doch&comma;« unterbrach sie sich&comma; »wie komme ich dazu&comma; einen Scherz für Ernst zu nehmen&comma; am Weihnachtsabend sind dergleichen Witze erlaubt&period;« Leiser und nur für die Russin vernehmbar setzte sie hinzu&colon; »Ich habe das feste Vertrauen zu dir&comma; daß du niemals rauchen wirst&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Angeredete schwieg und senkte die Augen&period; Der Tadel traf die Wahrheit&comma; sie hatte wirklich manchmal im Verborgenen eine Cigarette geraucht&period; War es doch in ihrer Heimat nichts Auffallendes&comma; wenn eine Dame sich ein kleines Rauchvergnügen machte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Innerlich schalt sie die Pedanterie der Deutschen&comma; der sie eine so harmlose Freude zum Opfer bringen mußte&comma; denn niemals würde es ihre Wahrheitsliebe gestattet haben&comma; gegen das Verbot der Vorsteherin zu sündigen&comma; – mit einiger Ueberwindung reichte sie derselben die Cigaretten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte&comma; bewahren Sie mir dieselben&comma;« bat sie und lächelnd fügte sie hinzu&colon; »Damit ich nicht in Versuchung komme &period;&period;&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie liebäugelte mit einem zierlichen Handspiegel&period; Sie freute sich sehr über denselben&comma; noch mehr aber über ihr eignes Bild&comma; das ihr entgegenlachte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Grete blickte ihr über die Schulter&period; »Das ist eine Anspielung auf deine Eitelkeit&comma; Melanie&excl; Ich habe nichts bekommen&comma; was mich ärgern oder wodurch ich mich getroffen fühlen könnte&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun glaubst du dich wohl fehlerfrei&comma; liebe Grete&excl;« spottete Melanie&period; »Bilde dir das ja nicht ein&comma; liebes Kind&comma; du bist noch längst kein vollkommnes Wesen&period; Es giebt sehr vieles an dir auszusetzen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und als ob ihre Worte sofort in Erfüllung gehen sollten&comma; rief Fräulein Güssow&colon; »Grete&comma; da steht noch eine vergessene Schachtel auf deinem Platze&excl; Du hattest Papier darauf geworfen und wirst sie deshalb übersehen haben&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Vergnügt und erwartungsvoll öffnete Gretchen die Schachtel&period; O weh&excl; als sie den Deckel abhob&comma; lachte ein glänzendes&comma; zierlich gearbeitetes Vorlegeschloß sie boshaft an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist eine Anspielung für dich&comma; teures Plappermäulchen&excl;« rief Melanie mit schwesterlicher Schadenfreude&comma; und hielt das Schloß an Gretes Lippen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma; damit du in Zukunft hübsch schweigst und nicht so vorlaut bist&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Unwillig wandte Grete sich ab&comma; sie war gar wenig erbaut von der Ueberraschung&period; Sie warf das Schloß wieder in die Schachtel&comma; schloß den Deckel und verriet durch ihre Empfindlichkeit&comma; wie sehr sie sich getroffen fühlte &period;&period;&period;&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hatte aus einer mächtigen Kiste&comma; die bis obenhin mit Heu gefüllt war&comma; einen Hund herausgeholt&period; Keinen lebendigen&comma; o nein&excl; es war nur einer aus Pappe&period; Braun sah er aus und hatte weiße Pfötchen&period; Um den Hals trug er einen Zettel am roten Bande&comma; auf welchem mit großen Buchstaben »Bob« geschrieben stand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Orla&excl;« erriet Ilse sofort&period; Dieselbe hatte sie oft genug mit ihrem Hunde aufgezogen&period; Es kam ihr jetzt selbst recht lächerlich vor&comma; wenn sie sich ihren Einzug in der Pension mit Bob auf dem Arme ausmalte&period; Wie einfältig war sie gewesen – wie unnütz hatte sie den armen Papa gequält&excl; – Ilse hatte noch eine Ueberraschung&comma; bei der sie fast erschrak&period; In einem reizenden Arbeitskorbe fand sie mehrere Aepfel von Marzipan&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie stand neben Ilse und flüsterte ihr zu&colon; »Diese sind Aepfel von der Baum – weißt du noch&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Als die Angeredete ängstlich zur Seite blickte&comma; fuhr sie beruhigend fort&colon; »Du darfst nicht Angst haben&comma; niemand hört uns&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie hatte recht&period; Die Aufmerksamkeit aller war auf einen Vogelbauer gerichtet&comma; in welchem eine lebendige Lachtaube saß&period; Annemie hielt denselben höchst angenehm überrascht in der Hand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun könnt ihr um die Wette lachen&comma;« scherzte die Vorsteherin&comma; »denn das Täubchen darfst du behalten und in deinem Zimmer aufhängen&period; Aber vergiß niemals&comma; Annemie&comma; daß du das Tierchen regelmäßig füttern mußt&comma; hörst du&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>So erhielt eine jede ihre scherzhafte Rüge&comma; nur Rosi nicht&period; Sie zerbrachen sich den Kopf&comma; um einen Tadel an ihr zu entdecken&comma; aber zu ihrem Bedauern fanden sie keinen&period; »Ganz ohne Scherz darf sie nicht sein&comma;« erklärte Nellie&comma; ging hin und kaufte ein Bilderbuch&comma; auf dessen Titelblatt in goldenen Buchstaben drei Worte glänzten&colon; ›Für artige Kinder‹&period; – »Dies paßt sehr für ihr&comma;« sagte sie&comma; und die übrigen Mädchen stimmten ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Rosi nahm das Buch&comma; lächelte und legte es beiseite&period; Sie konnte nicht so recht begreifen&comma; was es bedeuten sollte &period;&period;&period;&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nachdem die Bescherung zu Ende und nachdem auch für die beiden Damen ein Tisch mit allerhand selbstgearbeiteten Sachen ausgebaut war&comma; wurde der Thee eingenommen und kurze Zeit darauf zur Ruhe gegangen&period; Lilli wurde es schwer&comma; sich von ihren schönen Sachen zu trennen&comma; sie wollte nicht zu Bett gehen&comma; aber der Sandmann kam und streute ihr den Schlaf in die Augen&period; Schlafend wurde sie entkleidet und in ihr Bett&comma; das in Fräulein Güssows Zimmer stand&comma; getragen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und nun wurde es still und dunkel im Hause&period; Der schöne Christabend war zu Ende mit seiner frohen Erwartung&comma; seinem Lichterglanze &period;&period;&period;&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ob wohl der Baum im nächsten Jahre für alle wieder angezündet wird&comma; die heute unter ihm versammelt waren&quest; –<&sol;p>

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