Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Der Trotzkopf
(Emmy von Rhoden, 1885, empfohlenes Alter: 10 - 12 Jahre)

Kapitel 7

Die Tage wurden kürzer und kürzer. Der Oktoberwind fuhr sausend durch die Bäume und trieb sein lustiges Spiel mit den trocknen, gelben Blättern. Oede und verlassen lag der Garten des Instituts, denn der schöne Aufenthalt im Freien hatte so ziemlich ein Ende, die Mädchen waren mehr und mehr auf die Zimmer angewiesen.

In den Wochentagen empfanden sie das kaum, aber an den Sonntagnachmittagen, die sie gewohnt waren, im Garten zu verleben, da fühlten sie sich doppelt eingeengt. In den Zimmern war es so dumpf, so langweilig; so war Ilses Ansicht. Man konnte doch nicht immer Briefe schreiben, oder nähen. Sich die Zeit verkürzen mit Romanschreiben, das konnte nur Flora, die denn auch den innigen Wunsch hatte, die Sonntagnachmittage möchten ewig dauern.

»Ich komme heute auf euer Zimmer,« sagte sie eines Sonntagmorgens zu den Freundinnen. »Ich werde euch meine neueste Novelle vorlesen, natürlich nur den Anfang und den Schluß, das andre habe ich noch nicht geschrieben, ich mache es immer so. Ich sage euch, ihr werdet entzückt sein, Kinder! Ich selbst fühle, wie entzückend mein neuestes Werk mir gelungen ist!«

Nellie lächelte. »Wie ich mir auf dieser neue Werk freue!« sprach sie neckend. »Immer nur die Anfangs und die Endes macht Flora. Die langweilige Mitte laßt sie aus! O, sie ist ein großer Dichter!«

Flora war heute gar nicht empfindlich, sie that, als höre sie Nellies Neckereien nicht.

»Also auf heute nachmittag!« sagte sie und drückte Ilse die Hand.

Nach der Kaffeestunde begleitete sie denn auch die beiden Mädchen auf ihr Zimmer, und nachdem alle drei am Fenster Platz genommen hatten, zog sie mit wichtiger Miene mehrere lose Blätter aus ihrer Kleidertasche hervor.

»Fang doch an dein’ Novelle, warum besinnst du dir?« fragte Nellie, als Flora ein Blatt nach dem andern ansah und wieder beiseite legte.

»Entschuldigt einen Augenblick,« entgegnete Flora, »das ist mir alles so durcheinandergekommen. – Seite 5–10–11–3–« zählte sie. »Halt! hier ist Blatt I. So, nun will ich beginnen! – Und Nellie, thue mir den einzigen Gefallen, unterbrich mich nicht fortwährend mit deinen witzigen Einfällen, du schwächst wirklich den ganzen Eindruck damit. – Nun hört zu. Meine Novelle heißt:

Ein Schmerzensopfer.

Das Meer brauste und der Sturm tobte. – Weiße Möwen flogen krächzend darüber hinweg. – Der Mond lugte dann und wann zwischen zerrissenen Wolken hervor – traurig – einsam. – –

Da schaukelt ein kleines Schiff auf den hohen Wogen und nähert sich dem Strande. Ein junges Mädchen sitzt allein darin. Leichtfüßig schwingt sie sich aus dem Schiff und setzt sich auf ein Felsstück, das von den Wellen des Meeres umspült wird und hart am Strande liegt.

Tief seufzt sie auf und ihre großen Vergißmeinnichtaugen füllen sich mit Thränen.

›Was soll ich beginnen?‹ flöten ihre Lippen und in ihrem süßen Blumenangesichte drückt sich ein schmerzliches Entsagen aus. ›Er liebt mich – und ich ihn! Aber Aurora liebt ihn auch und sie ist meine geliebte Schwester! Kann ich sie leiden sehen? – Nein – nimmermehr! Und sollte ich darüber an gebrochenem Herzen sterben!‹

Sie seufzte tief. ›O sterben! Aber ich fühl’s, ich werde nicht sterben – mein Herz wird nicht brechen, – es wird weiter schlagen, – – wenn es auch besser wäre, das zähe Ding stände zur rechten Zeit für ewig still!‹ – –«

Hier machte Flora eine kleine Pause und Nellie konnte es nicht unterlassen, sie zu unterbrechen.

»O wie furchtbar traurig!« rief sie aus, »das arme Blumenangesicht mit die Vergißmeinnichtsauge und das zähe Herz! Wo ist sie denn hergekommen auf ihres kleines Schiff, – so allein auf die brausende Meer?«

Und sie lachte mit ihren Schelmengrübchen so herzlich über Floras Unsinn, daß ihr die Thränen in die Augen traten.

»Wie abscheulich von dir, Nellie,« fuhr Flora sehr erzürnt auf, »daß du mich so unterbrichst! Wenn nur ein Funken Poesie in deinem Busen schlummerte, würdest du meine Werke verstehen. Aber du bist nüchtern vom Scheitel bis zur Sohle!«

»O, o!« lachte Nellie ausgelassen, »o, wie komisch bist du, Flora! Lies nur weiter dein ›Schmerzensopfer‹, ich will nun artig hören und kein Laut mehr lachen.«

Aber Flora nahm schmollend ihre Blätter zusammen. Das heißt, es war ihr nicht so recht Ernst damit, denn als auch Ilse sich aufs Bitten legte, sie möge doch nun auch den Schluß ihrer Novelle vorlesen, da ließ sie sich erweichen. Schon hatte sie die Lippen geöffnet, um fortzufahren, da wurde sie unterbrochen durch Melanies hastigen Eintritt.

»Kinder!« rief diese aufgeregt, »es ist etwas furchtbar Interessantes passiert! Denkt euch, eben ist eine höchst elegante Dame vorgefahren mit einem reizend netten, kleinen Mädchen. Fräulein Raimar empfing sie schon an der Thür und Orla hat deutlich gehört wie sie sagte: ›Sie bringen das Kind selbst, gnädige Frau!‹ – Es bleibt also hier in der Pension, und wir haben nichts davon gewußt! Warum wird nun die ganze Geschichte so furchtbar geheimnisvoll gemacht? Wir haben doch stets gewußt, wenn eine neue Pensionärin ankam! Ich finde das, aufrichtig gesagt, klassisch!« –

Die Mädchen horchten erstaunt auf und selbst Flora vergaß das Weiterlesen. Welch eine Bewandtnis hatte es mit dem kleinen Mädchen, das so plötzlich hereingeschneit kam?

»O, welch eine klassische Geschichte!« rief Nellie. »Kommt, wir wollen gleich die fremde Dame mit ihres Kind uns ansehen!«

Und sie eilten die Treppe hinunter mit einer Hast und Neugierde, als ob ein neues Wunder aufgegangen sei, Nellie den andern immer voran, sie mußte die erste sein, die dasselbe in Augenschein nahm.

Es war aber gar nichts zu sehen, denn vorläufig verweilten die Fremden in Fräulein Raimars Zimmer. Indessen der Wagen hielt noch auf der Straße und Nellie schloß daraus, daß die Dame sich nicht allzulange aufhalten werde.

»Sehen müssen wir ihr,« sagte Nellie, »kommt, wir stellen uns an der großen Glasthür im Speisesalon und warten, bis sie kommt.«

Als sie dort eintraten, fanden sie bereits die Thür belagert. Es gab noch andre Neugierige in der Pension.

»Ihr kommt zu spät!« rief Grete, die natürlich den besten Platz hatte. »Dahinten könnt ihr nichts sehen!«

Nellie aber wußte sich zu helfen. Sie zog einen Stuhl heran und stellte sich darauf. Ilse natürlich kletterte ihr nach.

Die Geduld der Mädchen wurde auf eine harte Probe gestellt, wohl eine gute halbe Stunde mußten sie noch warten, bevor die Erwartete erschien. – Langsam und lebhaft sprechend ging sie mit der Vorsteherin an den Lauschenden vorüber. Zum Glück war es bereits dämmerig und die Damen waren so in der Unterhaltung begriffen, daß sie nicht auf die vielen Mädchenköpfe hinter der Glasthür achteten, Fräulein Raimar würde die kindische Neugierde ernstlich gerügt haben.

»O, wie sie hübsch ist!« bemerkte Nellie halblaut.

»Sei doch still, Nellie,« gebot Orla, die das Ohr dicht an der Thür hielt, um einige Worte zu erlauschen.

»Was sagt sie?« fragte Flora, »ich glaube, sie spricht französisch.«

»Nein, italienisch,« behauptete Melanie, die nämlich seit einigen Tagen angefangen hatte, diese Sprache zu treiben.

»Sie spricht deutsch,« erklärte Grete. »Eben hat sie gesagt: Meine kleine Lilli.«

»Gott bewahre, was du gehört hast!« widerstritt Orla, »sie spricht englisch.«

»O, eine Landsmann von mir!« rief Nellie laut und erfreut.

Ueber diese drollige Bemerkung kam Annemie in das Lachen. Orla wurde ganz böse darüber und hielt ihr den Mund zu.

»Fräulein Raimar ist ja noch im Korridor mit der Dame,« flüsterte sie, »wenn sie sich umsieht, sind wir blamiert.«

In diesem Augenblicke kam von der andern Seite des Korridors Rosi Müller. Erstaunt sah sie auf die Belagerung der Glasthür. Die Mädchen mußten zurücktreten, um sie einzulassen.

»Wie könnt ihr euch nur so kindisch benehmen,« sagte sie sanft und vorwurfsvoll. »Ich begreife eure Neugierde nicht.«

»Du bist auch unsre ›Artige‹,« meinte Grete.

Rosi überhörte diese vorlaute Bemerkung. »Kommt, setzen wir uns an die Tafel mit unsren Handarbeiten,« fuhr sie fort, als das Gas angezündet war, »wir haben die Erzählung von Ottilie Wildermuth noch nicht zu Ende gehört. Willst du heute vorlesen, Orla?«

Aber es kam nicht dazu. Gerade als Orla beginnen wollte, trat Fräulein Güssow mit der kleinen Lilli an der Hand ein.

Sofort sprangen die Mädchen von ihren Plätzen auf und umringten dieselbe.

»Sieh’, Lilli,« sagte die junge Lehrerin, »nun kannst du gleich deine zukünftigen Freundinnen kennen lernen.«

Die Kleine schüttelte den Kopf. »Die Madel sind schon so groß,« antwortete sie im süddeutschen Dialekt und ohne Befangenheit, »die können doch nit meine Freundinnen sein!«

Nellie fand gleich einen Ausweg, sie kniete sich zu dem Kinde nieder und sagte: »Jetzt bin ich ein klein Madel wie du und du kannst mit mich spielen.«

Lilli lachte. »Nein, du bist groß,« sagte sie, »aber du gefallst mir. Und du auch,« wandte sie sich zu Ilse, die neben Nellie stand. »Du hast halt so schöne Lockerl wie ich. Weißt, du sollst meine Freundin sein, mit dir will ich spielen.«

Sie ergriff Ilses Hand und sah dieselbe mit ihren großen Augen treuherzig an. Das junge Mädchen war ganz entzückt von der Zutraulichkeit der Kleinen und küßte und liebkoste sie.

Natürlich waren sämtliche Pensionärinnen ganz hingerissen von dem Kinde, das wie eine zarte Elfe in ihrer Mitte stand. Lange blonde Locken fielen ihm über die Schulter herab und die schwarzen Augen mit den feingeschnittenen, dunklen Augenbrauen darüber bildeten einen wunderbaren Kontrast zu denselben. Das gestickte, sehr kurze weiße Kleidchen ließ Hals und Arme frei. Eine hochrote, seidene Schärpe vervollständigte den höchst eleganten Anzug.

»O du süßes, entzückendes Geschöpfchen!« »Du Engelsbild! Kleine Fee!« und mit ähnlichen überschwenglichen Ausdrücken überschütteten die Pensionärinnen das Kind. Fräulein Raimar war unbemerkt eingetreten und hörte diese Ausrufe kopfschüttelnd an.

Sie trat in den Kreis und nahm Lilli bei der Hand. »Komm,« sagte sie zu ihr, »du sollst erst umgekleidet werden. Du möchtest dich erkälten in dem leichten Anzuge.«

»Bitt’ schön, laß mich hier, Fräulein,« bat das Kind. »Ich hab’ gar nit kalt. Schau, ich geh’ halt immer so. Die Madel sind so gut, es gefallt mir hier!«

Fräulein Raimar ließ sich nicht erbitten. »Komm nur, Kind,« sagte sie gütig, »du wirst die Mädchen alle wiedersehen zum Abendessen.«

Die abgeschlagene Bitte verstimmte Lilli nicht. »Laß Ilse mit mir gehen, Fräulein,« bat sie.

Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt. Als Ilse mit dem Kinde das Zimmer verlassen hatte, wandte sich die Vorsteherin mit ernsten, ermahnenden Worten an ihre Zöglinge.

»Ich bitte euch, in Zukunft Lilli nicht wieder so große Schmeicheleien in das Gesicht zu sagen. Wollt ihr sie eitel und oberflächlich machen? Sie ist ein sehr schönes Kind und wird bereits manche Aeußerung hierüber gehört haben, es giebt ja unvernünftige Leute genug. Wir wollen nicht in diesen Fehler verfallen, und ich denke, ihr werdet mir beistehen und in Zukunft vorsichtiger sein. – Lilli bleibt bei uns. Ich hatte noch nichts davon zu euch gesprochen, weil ihr Eintritt in die Pension noch nicht fest beschlossen war.«

»Wo wohnen Lillis Eltern?« fragte Flora.

»In Wien,« entgegnete das Fräulein. »Der Vater ist tot und die Mutter ist eine bedeutende Schauspielerin. Weil sie sich in ihrem Berufe wenig um die Erziehung ihres Kindes kümmern kann, hat sie es in eine Pension gegeben.«

»Lillis Mutter ist ein schönes Frau,« bemerkte Nellie.

»Wo hast du sie gesehen?« fragte die Vorsteherin etwas erstaunt.

»O, ich habe ihr vorbeigehen sehen,« entgegnete Nellie leicht errötend.

»Sie konnte leider nicht länger verweilen,« wandte sich Fräulein Raimar an die junge Lehrerin, »mit dem Schnellzuge fährt sie heute abend wieder fort.«

Die jungen Mädchen hatten die Damen dicht umringt und horchten auf jedes Wort. Sie hätten so »furchtbar« gern recht Ausführliches über Lillis Mutter erfahren, die als »bedeutende Schauspielerin« ihre Gemüter lebhaft erregte und interessierte. Aber sie erfuhren nichts. Das Gespräch wurde abgebrochen und Fräulein Raimar führte die Wißbegierigen recht unsanft in die Wirklichkeit zurück.

»Wer hat den Tisch zu besorgen?« fragte sie. »Es ist Zeit, daß wir den Thee einnehmen.«

Ilse und Flora hatten heute dieses Amt. Letztere verließ sofort das Zimmer, um kurze Zeit darauf mit Ilse zurückzukehren. Jede trug einen Stoß Teller, welchen sie auf einen Seitentisch stellten. Sie legten die Tischtücher auf und fingen an, die Tafel zu decken.

Vor wenigen Monaten hatte Ilse es für eine Unmöglichkeit gehalten, daß sie je eine solche Beschäftigung thun würde, – heute stand sie da in ihrer rosa Latzschürze und besorgte alles so geschickt und manierlich wie irgend eine andre Pensionärin.

Manierlich und geschickt war sie freilich nicht immer gewesen und es hatte manche Mühe gekostet, ehe sie es so weit gebracht, bis sie überhaupt sich überwunden hatte, »Dienstbotenarbeiten« zu verrichten. Die gutmütige Wirtschafterin konnte manches Lied über Ilses Widerspenstigkeit singen, manche unartige Antwort hatte sie derselben zu verzeihen.

Einmal, als sie einen Teller mit Butterschnitten fallen ließ und auch noch den Milchtopf umgestoßen hatte, ermahnte sie die Wirtschafterin, vorsichtiger zu sein.

»Nein,« hatte sie trotzig geantwortet, »ich will nicht vorsichtiger sein, solche Arbeit brauche ich nicht zu thun.«

Aber sie nahm sich das nächste Mal doch mehr in acht, es war am Ende kein sehr angenehmes Gefühl, von allen ausgelacht zu werden. Auch bemerkte sie, daß keine der Pensionärinnen, selbst die ungraziöse Grete nicht, sich so einfältig benahm wie sie, die meisten verrichteten die kleinen häuslichen Geschäfte mit Anmut und besonders mit einem freundlichen Gesichte, – sollte sie die einzig Dumme unter allen sein?

Lilli erhielt ihren Tischplatz zwischen der Vorsteherin und Ilse. Während der Mahlzeit belustigte sie die ganze Gesellschaft. Sie plauderte ganz unbefangen, gar nicht schüchtern und blöde. »Das macht,« bemerkte Flora, »weil sie unter Künstlern groß geworden ist.«

»Du, Fräulein, gieb mir noch a Gipferl, bitt’ schön. Ich hab’ halt so großen Hunger,« rief sie ungeniert. Und als Fräulein Güssow fragte, welches ihre Lieblingsgerichte seien, meinte sie: »Wianer Würstl und Sauerkraut.«

»Aber eine Mehlspeise wirst du doch lieber essen,« meinte Fräulein Raimar.

»O nein! Mehlspeis’ eß i gar nit gern – aber a groß Stückerl Rindfleisch mit Gemüs – das mag i!«

Alles lachte. Selbst die Vorsteherin stimmte ein. Wer hätte auch nicht mit Vergnügen dem Geplauder der Kleinen zuhören sollen!

Mit Lilli war ein andres Leben in die Pension gekommen. Alles drehte sich um sie, jeder wollte ihr Freude machen. Und wenn die Mädchen auch vermieden, ihr Schmeicheleien in das Gesicht zu sagen, so waren doch alle bemüht, ihr den Hof zu machen. Am glücklichsten waren sie, wenn Lilli sich herabließ, ein kleines Volkslied zu singen. Ich sage herabließ, denn wenn sie nicht aufgelegt war, ließ sie sich durch keine Bitten dazu bewegen. – Flora geriet jedesmal in Verzückung, prophezeite Lilli eine große Zukunft und schwur darauf, daß sie einst mit ihrer vollen, weichen Stimme ein Stern erster Größe am Theaterhimmel sein werde.

Voll und weich war die Stimme nicht, Flora blickte einmal wieder durch ihre romantische Brille, aber es klang weh und traurig, wenn das Kind mit so ernsthafter Miene dastand und sang.

»Sie ist furchtbar süß!« lispelte Melanie, als Lilli zum erstenmal ›Kommt a Vogerl geflogen‹ vortrug. »Sieh nur, Flora, wie melancholisch sie die Augen in die Ferne richtet.«

»Ja, melancholisch,« wiederholte Flora langsam und pathetisch, »du hast recht. Weißt du, Melanie, es liegt so etwas Geheimnisvolles – Traumverlorenes in ihren samtnen, dunklen Mignonaugen, so etwas, das sagen möchte: ›Du fade Welt, ich passe nicht für dich.‹«

»Denn es kümmert sich ka Katzerl – ka Hunderl um mi,« schloß Lilli ihr Liedchen.

»O wie reizend!« rief Nellie und klatschte in die Hände.

»Wie kann man diese Worte reizend finden!« rief Flora entrüstet. »Traurig – düster – das ist der rechte Ausdruck dafür. Ein einsames, verlassenes Herz hat sie empfunden und welche Folterqualen mag es dabei erlitten haben.«

»O, das Herz ist eine sehr zähe Ding, und doch wär’ es manchmal besser,« deklamierte Nellie mit komischem Pathos, aber sie kam nicht weiter. Flora hielt ihr den Mund zu.

»Du bist schändlich – ganz abscheulich!« rief sie, »nie, nie wieder weihe ich dich in meine geheimsten Gedanken ein! Wie kannst du mein Vertrauen so mißbrauchen?«

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