Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Die Abenteuer Tom Sawyers
(Mark Twain, 1876, empfohlenes Alter: 12 - 13 Jahre)

25. Kapitel

Tom war schon wieder ein strahlender Held — der Liebling der Alten, der Neid der Jugend. Sein Name gelangte sogar zu den Ehren der Druckerschwärze, denn das Blättchen des Dorfes verherrlichte ihn. Es gab sogar Leute, die in ihm den zukünftigen Präsidenten sahen, ausgenommen, wenn er vorher gehenkt werde.

Wie gewöhnlich, drückte die gedankenlose Welt jetzt Muff Potter an ihre Brust und überschüttete ihn mit Zärtlichkeiten, wie sie ihn bisher verlästert hatte. Aber diese Sinnesänderung spricht für die Welt; deswegen ist‘s besser, keine Glossen drüber zu machen.

Toms Tage waren Tage des Glanzes und des Frohlockens, aber seine Nächte waren Zeiten des Schreckens. Der Indianer-Joe spukte in all seinen Träumen und immer mit haßerfüllten Augen. Schwerlich hätte irgend etwas den Jungen veranlassen können, nach Anbruch der Nacht noch hinauszugehen. Der arme Huck befand sich gleichfalls im Zustand der Verzweiflung und Angst, denn Tom hatte in der Nacht vor der Gerichtsverhandlung dem Verteidiger alles gesagt, und Huck hatte gräßliche Angst, daß seine Beteiligung bei der Sache bekannt werden möchte, obwohl ihn des Indianers Flucht von der Qual befreit hatte, vor Gericht Zeugnis ablegen zu müssen. Der arme Bursche hatte vom Verteidiger das Versprechen des Schweigens erhalten, aber was war das? Seit Tom, durch sein beladenes Gewissen getrieben, in jener Nacht ins Haus des Verteidigers gegangen war und die schreckliche Geschichte, die doch mit den bindendsten, furchtbarsten Eiden in ihm verschlossen sein sollte, gebeichtet hatte, war Hucks Glauben an die menschliche Rasse nahezu vernichtet. Jeden Tag ließen Muff Potters Dankesbezeugungen Tom sich freuen, daß er gesprochen hatte, aber nachts wünschte er, das Geheimnis bewahrt zu haben. Manchmal fürchtete er, der Indianer-Joe möchte niemals gefunden werden, dann wieder zitterte er, daß er gefunden werden könnte. Er fühlte nur zu sicher, daß er nicht mehr ruhig atmen könne, bis dieser Mensch tot sei und er seine Leiche gesehen habe.

Belohnungen waren ausgesetzt, das Land durchsucht, aber kein Joe gefunden. Eins jener geheimnisvollen, ehrfurchtgebietenden Wunder, ein Detektiv, kam von St. Louis herauf, schnüffelte herum, schüttelte den Kopf, tat sehr weise und hatte den überraschenden Erfolg, den Angehörige dieser Berufsklasse stets haben, das heißt, „er fand den Schlüssel“. Aber man kann einen Schlüssel nicht als Mörder hängen und so, nachdem der Detektiv heimwärts gegangen war, fühlte sich Tom genau so unsicher wie vorher. Trübselig schlichen die Tage, aber jeder nahm ein klein wenig von seiner Besorgnis mit sich.

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