Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Der Trotzkopf
(Emmy von Rhoden, 1885, empfohlenes Alter: 10 - 12 Jahre)

Kapitel 14

<p>Holunder und Maiblumen hatten ausgeblüht und die Rosen öffneten ihre duftigen Kelche&period; Nellie und Ilse wandelten nach dem Abendessen durch den Garten&comma; und als sie im Gebüsch die Nachtigall schlagen hörten&comma; blieben sie stehen und lauschten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie süß&excl;« rief Nellie&comma; »komm&comma; laß uns auf der Bank setzen und lauschen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie hielten sich beide umschlungen und sprachen kein Wort&period; Der herrliche&comma; duftende Abend&comma; der Mond&comma; der silbern am Abendhimmel aufstieg&comma; der schmelzende Gesang der Nachtigall weckten eine ahnungsvolle&comma; nie gekannte Stimmung in ihren jungen Herzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O Ilse&comma;« unterbrach Nellie mit einem Seufzer die feierliche Stille&comma; »wie bald gehst du fort und läßt mir allein zurück&excl; Ich bin sehr traurig&comma; wenn ich daran denke&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Auch Ilse war wehmütig und der Gedanke&comma; von Nellie scheiden zu müssen&comma; machte ihr das Auge feucht&period; Aber sie unterdrückte mutig die weiche Stimmung und versuchte&comma; die Freundin zu trösten&period; »Es ist noch lange hin&comma; bis ich die Pension verlasse&comma;« sagte sie&comma; »du weißt ja&comma; daß meine Eltern meinen Aufenthalt bis zum ersten September verlängerten&period; Noch acht Wochen sind wir beisammen&comma; Nellie&comma; das ist noch eine sehr lange Zeit&comma; denk’ einmal&comma; acht volle Wochen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie schüttelte traurig den Kopf&period; »O nein&comma; es ist nur sehr kurze Zeit&comma;« erwiderte sie&comma; »es sind auch nicht acht Wochen voll&comma; du mußt ordentlich rechnen&period; Heute haben wir schon der siebente Juli&comma; – macht bis zu der erste September vierundfünfzig Tage – fehlt also zwei volle Tag an der achte Woch –«<&sol;p>&NewLine;<p>Trotz ihres Kummers mußte Ilse lachen&period; »Du liebe&comma; süße Nellie&comma;« rief sie und küßte diese herzlich auf den Mund&comma; »du bist doch immer komisch&comma; selbst wenn du traurig bist&excl; Weißt du&comma; wir wollen uns das Herz nicht heute schon schwer machen mit dem Gedanken an unsre Trennung&comma; wir gehen ja nicht für immer auseinander&excl; Du besuchst mich bald&comma; – ja&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber Nellie war einmal weich gestimmt heute abend und der Freundin Trost fand keinen Eingang in ihrem Herzen&period; Sie versuchte zwar die Thränen zu unterdrücken&comma; aber sie brachen immer neu hervor&period; Ilse lehnte den Kopf an ihre Schulter und schwieg&period; In ihrem Innern kämpften der Schmerz und die Freude&period; Sie hätte so gern sich auf das Wiedersehen ihrer Lieben&comma; besonders des kleinen Brüderchens&comma; gefreut&comma; sie vermochte es nicht ungetrübt&comma; weil der Abschied von Nellie dazwischen stand&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>»Hier sind sie&excl; Kommt&comma; hierher&excl; Sie sitzen beide unter dem Holunderbusch&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Keine andre als Grete war es&comma; die durch ihren lauten Ruf die Träumenden aufschreckte&period; Unbemerkt war sie aus einem Seitenweg hervorgetreten und stand nun wie aus der Erde gewachsen vor ihnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse sprang auf und trat den andern Mädchen&comma; die herbeigeeilt kamen&comma; entgegen&period; Nellie trocknete verstohlen ihre Thränen und machte wieder ein heitres Gesicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wir haben euch überall gesucht&comma;« sagte Orla&comma; »was macht ihr denn hier&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich glaube wahrhaftig&comma; ihr schwärmt im Mondenschein&comma; Kinder&comma;« lispelte Melanie&comma; »ihr macht so furchtbar schmachtende Augen alle beide&comma; habt ihr geweint&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Grete mußte sich hiervon genau überzeugen&comma; sie trat zu Nellie und sah sie neugierig prüfend an&period; »Du hast geweint&comma; Nellie – und du auch Ilse –« behauptete sie entschieden&period; »Was habt ihr denn&quest; Warum weint ihr&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Um nix&excl;« entgegnete Nellie ärgerlich über die unzarte Grete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Um nichts weint man doch nicht&comma;« fuhr dieselbe unbeirrt fort&comma; »bitte&comma; sagt es doch&comma; warum ihr geweint habt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Laß deine zudringlichen Fragen&comma;« verwies sie Flora&comma; »und wenn sie dir sagen würden&colon; ›Der silberne Mond&comma; die duftenden Rosen&comma; der entzückende Sommerabend&comma; so recht zur Liebe und Traurigkeit geschaffen&comma; haben unsern Herzen Wehmut und Thränen entlockt&comma;‹ – würdest du das verstehen&quest; Niemals&excl; Denn du hast keinen Sinn für die höhere Sphäre – du bist zu prosaisch&excl;« Sie begleitete ihre Worte mit einem schwärmerischen Aufschlag ihrer wasserblauen Augen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Floras hochtrabende Aeußerung stellte sofort die fröhlichste Stimmung her&period; Nellie vergaß ihr Herzeleid darüber und sagte lachend&colon; »O Flora&comma; was für ein zarter Seel’ du hast&excl; Sei bedankt du hoher Dichterin&comma; du hast uns verstanden&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Kinder&excl;« unterbrach Orla die Sprechenden&comma; »nun hört auf mit euren Albernheiten&comma; ich habe euch eine höchst wichtige Mitteilung zu machen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Wichtige Mitteilung&excl; Grete sperrte Mund und Nase auf und sah gespannt auf Orla&comma; zu der sie sich ganz dicht herangedrängt hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nicht hier&excl;« fuhr diese fort&comma; »folgt mir unter die Linde&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Unter die Linde&quest;« fragte Annemie ängstlich&period; »Laß uns doch hier&comma; es ist ja schon dunkel unter dem alten&comma; großen Baum&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; und es ist schon spät&comma; wir müssen uns eilen&comma;« fiel die ebenfalls furchtsame Flora ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Mache dir keine Sorge darum&comma; liebste Flora&comma;« gab Orla zurück&comma; »denn höre und staune&colon; Weil heute mein Geburtstag ist&comma; hat Fräulein Raimar auf dringendes Bitten die hohe Gnade gehabt&comma; unsern Aufenthalt im Garten heute abend bis um zehn Uhr zu verlängern&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Himmlisch&excl; Furchtbar reizend&excl; Zu nett&excl;« u&period; s&period; w&period; rief es durcheinander und Grete machte sogar einen kleinen&comma; ungeschickten Sprung in die Luft&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Also auf zur Linde&excl;« kommandierte Orla und schlug den Weg dorthin ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ohne Gegenrede folgten ihr alle&comma; in wenigen Augenblicken waren sie dort&period; Orla stieg auf eine Bank&comma; die dicht am Stamme lehnte&comma; schlug die Arme untereinander und sah schweigend auf die Mädchen herab&comma; die einen dichten Halbkreis um sie bildeten und mit höchster Spannung auf sie blickten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Meine lieben Freundinnen&comma;« hub sie an&comma; da raschelte es über ihnen in den Zweigen&period; Die Mädchen schraken zusammen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was war das&quest;« fragte Annemie&comma; »Gott&comma; wenn sich im Baume jemand versteckt hätte&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Oder wenn ein Gespenst wieder seinen Spuk triebe&excl;« sprach Melanie mit bebenden Lippen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie unheimlich ist es hier&excl;« fiel Grete ein&comma; »ich fürchte mich&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So ein Gespenst mit großer Feuerauge und fliegender Haar&comma;« meinte Nellie und stieß Ilse an&comma; »o&comma; es wäre furchtbar&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Orla stand ruhig und unerschrocken da&comma; sie kannte keine Furcht&period; »Schämt euch&excl;« rief sie den Zagenden zu&comma; »seid ihr erwachsene Mädchen&quest; Kann euch eine harmlose Fledermaus in die Flucht treiben&quest; Geht zurück&comma; wenn ihr euch fürchtet&comma; für Kinder passen meine Worte nicht&excl; Wollt ihr vernünftig sein&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; ja&excl;« tönte es zurück&comma; zwar etwas zaghaft&comma; aber die Neugierde trug doch den Sieg über die Furcht davon&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»So hört mich an&excl; Hier an dieser Stätte&comma; unter dem Schutze unsrer geliebten Linde laßt uns einen Bund schließen&comma; der uns in Freundschaft für das ganze Leben vereinen soll&period; Wie lange wird es dauern und wir verlassen die Pension&comma; und das Schicksal zerstreut uns in alle Winde&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»In alle Winde&excl;« wiederholte Flora halblaut&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun frage ich euch&comma; soll uns dasselbe für immer trennen&quest; Ich sage&colon; nein&excl; wir werden uns wiedersehen&excl; Wir haben stets treu zusammengehalten&comma; unsre Freundschaft darf nicht wie ein leerer Wahn verrauschen –«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie ein leerer Wahn verrauschen –« gab Flora als Echo zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ruhig&excl;« geboten die andern&comma; »laß Orla sprechen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So frage ich euch denn&colon; wollt ihr mit mir in diesem feierlichen Augenblicke geloben&comma; daß ihr heute in drei Jahren zurückkehren wollt&quest; Hier unter der Linde&comma; am siebenten Juli&comma; morgens elf Uhr&comma; soll uns ein frohes Wiedersehen vereinen&period; Seid ihr mit meinem Vorschlage einverstanden&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&excl;« rief es einstimmig und begeistert&comma; »wir kommen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Schwört einen Eid darauf&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie erhob drei Finger der rechten Hand und alle übrigen folgten ihrem Beispiele&period; Nur Rosi zögerte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es könnten doch Hindernisse eintreten&comma; die eine Reise hierher unmöglich machten&comma;« warf sie mit ihrer sanften Stimme ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Hindernisse&comma; das heißt&comma; nur wichtige Hindernisse heben den Eid auf&excl;« erklärte Orla&period; »In diesem Falle ist die Ausbleibende verpflichtet&comma; durch einen ausführlichen Brief den Grund ihres Eidbruches anzugeben&period; Beschwört auch das&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Wieder erhoben sich die Hände und diesmal zögerte Rosi nicht&comma; sich dem Schwure anzuschließen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun haben wir uns für ewig verbunden&excl;« nahm Orla wieder das Wort&comma; »und jede von uns wird ihren Eid halten&comma; damit wir indes stets desselben gedenken&comma; mache ich euch einen Vorschlag&period; Wir wollen zur Erinnerung an diese heilige Stunde einfache&comma; silberne Ringe anfertigen lassen&comma; die wir an dem kleinen Finger der linken Hand tragen&period; Jede von uns erhält einen solchen und trägt ihn bis zu ihrer Sterbestunde&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bis zu ihrer Sterbestunde&excl;« sprach Flora langsam und elegisch nach&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Ringidee wurde von allen reizend&comma; famos und entzückend gefunden und mit Begeisterung angenommen&period; Orla&comma; die von ihrem erhabenen Platze heruntergesprungen war&comma; wurde umringt und mit schmeichelhafter Anerkennung überhäuft&period; Melanie prophezeite ihr geradezu eine große Zukunft als Rednerin&comma; sie habe ›furchtbar reizend‹ gesprochen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Alle befanden sich übrigens in einer gehobenen Stimmung&comma; sie fielen sich in die Arme&comma; küßten sich und versicherten sich gegenseitig der zärtlichsten Freundschaft&comma; die nur mit dem Tode enden könne&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie glaubten ganz ernst an ihre Versprechungen&comma; kein Zweifel vergiftete ihre unschuldsvolle Zuversicht&period; Der Mond lugte wischen den Zweigen hindurch und blickte wie spottend mit einem Auge auf das rührende Schauspiel&period; Vielleicht verstand ihn der alte Baum&comma; vielleicht bedeutete das leise Rauschen in seinem Wipfel die Antwort&colon; Du Zweifler da oben&comma; spotte nicht über die gläubigen Kinder&period; Weißt du nicht&comma; daß es immer so war und immer so sein wird&quest; Die Träume der Jugend gehören zur jungen Brust&comma; wie der Tau zur Rose&period; Enttäuschung und Nüchternheit töten früh genug diese Blüten der kurzen Maienzeit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Orla&comma;« sagte Flora&comma; als sie langsam in das Haus zurückkehrten&comma; »auch ich möchte einen Vorschlag machen&period; Wenn eine von uns Freundinnen&comma; die wir uns bis in den Tod verbunden haben&comma; in den Bund der heiligen Ehe tritt&comma; so soll es ihre Pflicht sein&comma; ihre Genossinnen zu diesem hohen Feste einzuladen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma;« stimmte Orla bei&comma; »das ist ein guter Gedanke&comma; wir wollen denselben mit einem Handschlag besiegeln&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie schlossen einen Kreis und reichten sich die Hände&comma; verzogen auch keine Miene dabei&period; Nur Ilse konnte das Lachen nicht lassen&comma; die Hochzeitsgedanken kamen ihr gar zu komisch vor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich trete zwar niemals in den Bund der heiligen Ehe&comma; aber ich gebe doch mein Handschlag zu die Einladung&comma;« neckte Nellie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Spotte nicht über so ernste Dinge&comma;« sprach Flora zürnend&period; »Wir sind nicht aufgelegt zu deinen Scherzen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; ich scherz’ gar nix&comma; aber wie soll ein arm’ häßlich Engländerin mit sehr viel Sommerspross’ auf der Nas’ ein Mann bekommen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Diese komische Bemerkung verscheuchte den Ernst von den jugendlichen Stirnen und Scherz und Frohsinn kehrten zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ehe sich Flora zur Ruhe begab&comma; schrieb sie in ihr Tagebuch&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Welch ein großer&comma; ereignisvoller Tag&excl; O&comma; ich zittere noch&comma; wenn ich daran denke&excl; Mondschein&excl; Rosenduft&excl; Linde&excl; Sang der Philomele&excl; Orla hinreißend gesprochen &lpar;Meine nächste Heldin Orla heißen&excl;&rpar; Freundschaftsbündnis&excl; Schwur&excl; Hochzeitsversprechen&excl; &lpar;Meine entzückende Idee&excl;&rpar; Handschlag darauf&excl; Wie heißt die Hochbeglückte&comma; die zuerst denselben löst&quest; Schicksal&comma; du dunkles&comma; laß mich den Schleier heben&excl; Giebt es Ahnungen&comma; sollt’ ich&quest; –«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie legte die Feder nieder&comma; schloß das Buch und verbarg es tief in ihrem Kommodenkasten&period; Ihre Hand zitterte und ihre Gedanken verwirrten sich&period; Sie legte sich nieder und schlief ein&period; Träumend sah sie sich im Brautkranz und weißen Atlaskleide&period;<&sol;p>

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