Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Der Trotzkopf
(Emmy von Rhoden, 1885, empfohlenes Alter: 10 - 12 Jahre)

Kapitel 6

<p>Es war an einem Mittwoch Nachmittag im Monat August&period; Die erwachsenen Mädchen der Pension saßen im Speisezimmer beisammen&comma; stopfend&comma; flickend oder mit anderen Arbeiten dieser Art beschäftigt&period; Es war sehr heiß und gewitterschwül&comma; und durch die geöffneten Fenster drang kein erfrischender Luftzug&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hielt ihren Strickstrumpf in der Hand und quälte sich&comma; Masche auf Masche abzuheben&period; Es machte ihr Mühe mit den heißen&comma; feuchten Fingern&period; Die Nadeln saßen so fest in den Maschen&comma; daß sie kaum zu schieben waren&period; Sie glühte wie eine Rose bei ihrer sauren Arbeit&comma; und der graue Strumpf&comma; der eigentlich weiß sein sollte&comma; wurde öfters aus der Hand gelegt&period; Nun fielen auch noch einige Maschen herunter&comma; und Fräulein Güssow&comma; die anwesend war&comma; forderte Ilse auf&comma; einmal zu versuchen&comma; ob sie dieselben nicht allein wieder aufnehmen könne&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich kann das nicht&comma;« sagte Ilse&comma; »die Nadeln kleben so&comma; ich mag sie nicht mehr anfassen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wasche dir die Hände&comma;« riet Fräulein Güssow&comma; »dann wird es besser gehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das hilft nicht&comma;« erwiderte Ilse unmutig und legte das Strickzeug vor sich hin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Mädchen lachten&comma; und Grete&comma; die ihr gegenübersaß&comma; nahm es vorwitzig in die Hand&comma; um den Fehler zu verbessern&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse nahm es ihr fort&period; »Laß liegen&comma;« sagte sie&comma; »es ist mein Strumpf&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ehe noch Fräulein Güssow sie wegen ihres unpassenden Wesens zurechtweisen konnte&comma; trat Fräulein Raimar in das Zimmer&period; Sie ging von einer Schülerin zur andern und prüfte deren Arbeiten&comma; sie that dies zuweilen&comma; um sich an den Fortschritten zu erfreuen&comma; oder auch zu tadeln&comma; wenn es nötig war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; wie steht es mit dir&comma; Ilse&quest;« fragte sie&period; »Hast du deinen Strumpf bald fertig&quest; Zeige ihn einmal her&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse that&comma; als habe sie die Aufforderung nicht verstanden&comma; sie schämte sich ihrer schmutzigen Arbeit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich will dein Strickzeug sehen&comma; Ilse&comma; hast du mich nicht verstanden&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Etwas streng und hart klangen die Worte der Vorsteherin&comma; und nun war es Trotz&comma; weshalb sie den Gehorsam versagte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aufgebracht über diesen Widerstand nahm Fräulein Raimar ihr den Strumpf unsanft aus der Hand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich bin gewöhnt&comma; daß meine Schülerinnen mir gehorchen und du wagst es&comma; dich zu widersetzen&quest; – Seht einmal Kinder&comma;« fuhr sie fort und hielt mit spitzen Fingern das Strickzeug in die Höhe&comma; »was sagt ihr zu dieser Arbeit&quest; Sieht sie wohl aus&comma; als ob sie einem erwachsenen Mädchen angehöre&quest; Schäme dich&excl; Niemals wieder will ich ein so unsauberes Strickzeug sehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aller Augen waren auf dasselbe gerichtet&comma; und einige Pensionärinnen glaubten sich durch die Frage der Vorsteherin berechtigt&comma; ein Wort mitzureden&period; Die vorlaute Grete meinte&comma; daß ihre kleine fün&fjlig;ährige Schwester daheim weit besser und sauberer stricke&comma; ihr Strumpf sähe wie Schnee gegen Ilses aus&comma; sie dürfe aber auch niemals mit schmutzigen Händen stricken&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die ästhetische Flora verglich das façonlose Ding mit einem Kaffeebeutel&comma; ein Vergleich&comma; der Annemie so in das Lachen brachte&comma; daß sie sich gar nicht wieder beruhigen konnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Was in diesem Augenblicke in Ilses Innerem vorging&comma; ist schwer zu beschreiben&period; Sie sah sich verlacht und verspottet von allen Seiten und durfte sich nicht dagegen verteidigen&period; Ihr heißes Blut&comma; ihre unbändige Natur bäumten sich mit aller Macht auf gegen die&comma; wie sie glaubte&comma; ihr öffentlich angethane Schmach&period; Sie geriet in eine so blinde Wut&comma; wie sie bis jetzt noch niemals empfunden hatte&comma; sie ballte die Hände und biß hinein&comma; ihre Augen füllten sich mit heißen&comma; trotzigen Thränen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar hatte bereits das Zimmer verlassen&comma; doch die Thür desselben hinter sich offen gelassen&comma; sie hielt sich noch auf dem Korridor auf&period; Welchen Aufruhr sie in Ilse heraufbeschworen&comma; ahnte sie nicht&comma; sie würde ihn auch schwerlich begriffen haben&comma; glaubte sie doch fest&comma; durch eine öffentliche Beschämung Ilses Widerstand ein für allemal geheilt zu haben&period; Wie wenig verstand sie ein leidenschaftliches Gemüt&excl; Gerade das Gegenteil hatte sie hervorgerufen&period; Ilses wilder Trotz stand in lichterlohen Flammen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Neckt sie nicht&excl;« gebot Fräulein Güssow&comma; die Ilse besser verstand&period; »Ich will nicht&comma; daß ihr sie auslacht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Nellie&comma; die einzige&comma; welche mitleidig dem ganzen Auftritt zugesehen&comma; nahm gutmütig den verachteten Strumpf in die Hand&comma; um ihn wieder in Ordnung zu bringen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Laß&excl;« rief Ilse und ihr ganzer Grimm entlud sich auf Nellies unschuldiges Haupt&comma; »laß&excl; Was kümmern dich meine Sachen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Gieb doch her&comma;« bat diese sanft&comma; »ich mach’ dich alles wieder gut&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber Ilse hörte nicht darauf und riß es Nellie aus der Hand&comma; und ehe noch diese sie zurückhalten konnte&comma; warf sie im höchsten Zorne das unglückselige Strickzeug gegen die Wand&period; Die Nadeln schlugen klirrend aneinander und das Knäuel kollerte weit fort&comma; zur offnen Thür hinaus&comma; bis zu den Füßen der Vorsteherin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Vielleicht hätte dieselbe kein Arg an diesem kleinen Zufall gefunden&comma; wenn nicht zu gleicher Zeit laute Ausrufe wie »Ah&excl;« und »o&excl;« ihr Ohr getroffen und ihr verkündet hätten&comma; daß etwas Unerhörtes passiert sein müsse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was giebt es&quest;« fragte sie hastig eintretend&period; Sie erhielt keine Antwort&semi; aber ihr Blick fiel auf das Strickzeug am Fußboden und sie erriet das Ganze&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Warfst du es absichtlich hierher&quest;« richtete sie an Ilse die Frage&comma; und ihre Stimme bebte vor Aufregung&comma; in ihren stets so ruhig blickenden Augen blitzte es unheimlich auf&period; – »Antworte – ich will es wissen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma;« sagte Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Komm hierher und nimm es wieder auf&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Heftigkeit der Vorsteherin machte Ilse nur verstockter&comma; sie rührte sich nicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Hast du verstanden&comma; was ich dir befahl&quest; Glaubst du mir trotzen zu können&quest; Ich verlange&comma; daß du mir gehorchst&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« entgegnete Ilse zum Entsetzen der anwesenden Pensionärinnen&comma; »ich thue es nicht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssow sah die Widerspenstige traurig und bekümmert an&period; Nicht Zorn&comma; nur Mitleid empfand sie mit derselben&period; »Wenn ich dich ändern könnte&excl; Wenn es mir gelänge&comma; dich auf einen andern Weg zu bringen&comma; armes&comma; verblendetes Kind&excl;« dachte sie und beschloß&comma; nichts unversucht zu lassen&comma; um Ilse von ihrem bösen Fehler zu heilen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Solange sie Vorsteherin des Pensionats war&comma; hatte Fräulein Raimar niemals Aehnliches erlebt&period; Trotz ihrer stets so maßvollen Ruhe war sie für den Augenblick fassungslos und ungewiß&comma; was mit Ilse geschehen solle&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Geh auf dein Zimmer&comma;« befahl sie kurz&comma; »und bleibe dort&excl; Das andre wird sich finden&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse erhob sich und ging hinauf&period; Nachdem sie in ihrem Zimmer angelangt&comma; brach der furchtbare Sturm&comma; den sie mühsam zurückgehalten hatte&comma; los&period; Sie warf sich auf einen Stuhl und weinte laut&period; Stürmisch rief sie nach ihrem Papa&comma; daß er komme und sie holen möge – klagte die Mama an&comma; die sie in diese fürchterliche Anstalt gebracht – kurz fühlte sich verzweifelt und verlassen&comma; wie nie im Leben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Allerhand Gedanken jagten durch ihren Kopf&comma; der zum Zerspringen brannte&comma; kindisch und unausführbar&period; Zuerst wollte sie davonlaufen&comma; – wohin war ihr gleich&comma; nur fort&comma; damit sie die böse Vorsteherin&comma; die stets einen Aerger auf sie gehabt&comma; und die abscheulichen Mädchen&comma; die sie verhöhnt hatten&comma; von denen keine sie lieb hatte&comma; nicht wieder sehe – niemals&excl; Kein Mensch mochte sie leiden&comma; nur der Papa&period; O&comma; wenn sie gleich bei ihm wäre&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Gedanke&comma; daß sie zurück müsse nach Moosdorf&comma; behielt die Oberhand&period; Sie fing an&comma; ihre Sachen aus der Kommode zu räumen und war eben im Begriff&comma; das Mädchen zu beauftragen&comma; ihr den Koffer vom Boden herabzuholen&comma; als Nellie und gleich darauf Fräulein Güssow in das Zimmer traten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Erstaunt blickte letztere auf die umherliegenden Sachen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; Ilse&comma; was soll denn das bedeuten&quest;« fragte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Anstatt zu antworten vergrub Ilse das Gesicht in beiden Händen und schluchzte laut&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssow ließ sie einige Augenblicke gewähren&comma; dann zog sie ihr leise die Hände vom Gesicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Beruhige dich&comma; Kind&comma;« sprach sie in sanftem Tone&comma; »dann will ich mit dir reden&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich kann nicht&excl; Ich will fort&excl;« stieß Ilse leidenschaftlich heraus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du mußt dich beherrschen&comma; Herz&period; Ich glaube gern&comma; daß es dir schwer wird&comma; dein trotziges Ich zu zähmen&comma; aber du mußt es thun&comma; es ist notwendig&period; Siehst du nicht ein&comma; Ilse&comma; wie unrecht&comma; wie ungezogen du gehandelt hast&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Diese schüttelte den Kopf&period; »Sie haben mich alle gereizt&comma;« entgegnete sie abgebrochen schluchzend – »Fräulein Raimar hat mich so furchtbar blamiert – alle haben mich ausgelacht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssow hatte das Gefühl&comma; als sei es besser gewesen&comma; wenn die Vorsteherin ihren berechtigten Tadel in einer andern Weise ausgesprochen hätte&comma; – doch das war nun einmal geschehen und nicht zu ändern&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du irrst&comma;« entgegnete sie&comma; »nicht Fräulein Raimar&comma; sondern du selbst hast dich lächerlich gemacht&period; Denke einmal zurück&comma; wie du dich benommen hast&period; – Uebrigens&comma;« fuhr sie fort&comma; »du darfst nicht so trostlos sein und dir nicht allzuschwere Gedanken darüber machen&period; Wenn du morgen verständig bist&comma; ist alles vergessen&period; Die Mädchen haben dich alle lieb&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; nein&comma;« rief Ilse&comma; »mich hat niemand lieb&excl; Ich weiß es wohl&excl; – Ich bin dumm und ungeschickt und ich will fort – zu meinem Papa&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wenn du so sprechen willst&comma; Ilse&comma; dann verlasse ich dich&period; Du weißt&comma; wie sehr ich dich lieb habe&comma; dergleichen kindische Reden aber will ich nicht von dir anhören&period; Soll ich gehen&quest; – willst du vernünftig sein&quest;« –<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse schwieg und die junge Lehrerin wandte sich der Thür zu&period; Als sie im Begriffe war dieselbe zu öffnen&comma; eilte Ilse auf sie zu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte&comma; bleiben Sie&comma;« bat sie und hielt sie an der Hand fest&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Von Herzen gern&comma; wenn du mich ruhig anhören willst&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie setzte sich auf einen Stuhl am Fenster und nahm Ilse in den Arm&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie heiß du bist&comma; du böser Trotzkopf&comma;« sagte sie und streichelte ihr liebevoll die erhitzten Wangen&period; »Nellie&comma; gieb Ilse ein Glas Wasser&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Angeredete hatte stumm und still am andern Fenster gelehnt und der Freundin lautes Schluchzen mit heimlichen Thränen begleitet&comma; jetzt sprang sie hinzu und reichte das Gewünschte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Trink einer kühle Schluck&comma; er wird dir ruhig machen&comma;« redete sie herzlich zu&period; »Du mußt nie wieder sagen&comma; daß wir dir nicht liebten&comma; du böse&comma; böse Ilse&excl; – Nicht mehr weinen darfst du&comma; komm&comma; ich mache deine Gesicht kalt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und sie tauchte einen Schwamm in das Wasser und kühlte damit Ilses brennende Augen und Wangen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; mein Kind&comma;« fragte Fräulein Güssow&comma; als Ilse sich etwas beruhigt hatte&comma; »was gedenkst du zu thun&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich muß heute noch abreisen&comma;« entgegnete sie&comma; »hier bleiben kann ich nicht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Also noch immer möchtest du mit deinem Kopfe die Wand einstoßen&period; Der Gedanke&comma; daß du nachgeben mußt&comma; daß es an dir ist&comma; um Verzeihung zu bitten&comma; kommt dir gar nicht in den Sinn&excl; Du hast Fräulein Raimar bitter gekränkt&comma; denkst du nicht daran&comma; sie wieder zu versöhnen&quest; Sprich&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« rief Ilse und warf den Kopf zurück&comma; »Fräulein Raimar hat mich beleidigt und furchtbar gekränkt&excl; Ich bitte sie nicht um Verzeihung&excl; Noch niemals habe ich jemand um Verzeihung gebeten – und ich thue es auch jetzt nicht&excl; Nein&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das war wieder ein trotziger&comma; böser Ausfall von ihr&comma; dennoch verlor Fräulein Güssow nicht die Geduld&comma; sie blieb ruhig und sanft&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du batest niemals um Verzeihung&comma; Ilse&quest; Das wundert mich&semi; aber du hast deinem Papa ein gutes Wort gegeben&comma; wenn du unartig warst und er dir zürnte&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Meinem Papa&excl;« wiederholte Ilse und sah höchst erstaunt die junge Lehrerin an&period; »Niemals hat er mir gezürnt&comma; er war immer&comma; immer gut&comma; ich konnte machen&comma; was ich wollte&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma;« sprach Fräulein Güssow und meinte jetzt den Schlüssel zu Ilses Eigensinn in des Vaters zu großer Nachgiebigkeit gefunden zu haben&period; »Und die Mama&comma; war auch sie stets damit zufrieden&comma; was du thatest&comma; – kränktest du sie niemals&quest; Sage einmal aufrichtig&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse blickte nachdenklich vor sich hin&period; Sie konnte nicht leugnen&comma; sie hatte dieselbe oftmals durch ihren Widerstand gekränkt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich glaube&comma; daß ich es that&comma;« sagte sie zögernd&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Und dann sagtest du&colon; vergieb mir&comma; liebe Mama&comma; nicht wahr&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse schüttelte den Kopf&period; »Nein&comma;« sagte sie&comma; »niemals habe ich das gethan&period; Mama hat es auch gar nicht von mir verlangt&comma; sie weiß&comma; daß ich einmal nicht bitten kann&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ein Kind muß bitten können&excl; Und ein Mädchen vor allem&period; O Ilse&excl; Auch du mußt es lernen&comma; noch ist es nicht zu spät&excl;« sprach Fräulein Güssow sehr erregt&period; »O Ilse&comma; wenn doch meine Worte es vermöchten&comma; dich so recht aus deiner Verblendung aufzurütteln&excl; Lerne nachgeben&comma; mein Kind&comma; lerne vor allem dich beherrschen&excl; Thust du es nicht&comma; so nimmt das Leben dich in seine harte Schule und bereitet dir viel Herzeleid und Kummer&period; Glaube mir&comma; Trotz und Widerstand sind böses Unkraut in einem Mädchenherzen&comma; und oftmals überwuchern sie die besten&comma; heiligsten Gefühle&excl; Geh’ hinunter&comma; Kind&comma; bitte Fräulein Raimar um Vergebung&period; Ueberwindest du heute deinen harten Sinn&comma; so hast du gewonnen für alle Zeit&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie hatte warm und eindringlich gesprochen&comma; und in ihren braunen Augen standen Thränen&period; Ilse war auch seltsam ergriffen von ihren Worten&comma; aber Abbitte thun&comma; – das konnte sie trotzdem nicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich kann es nicht&comma;« sagte sie zögernd&comma; aber bestimmt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du willst nicht&comma; aber du mußt&comma;« entgegnete Fräulein Güssow im höchsten Grade erregt&period; »Gott&excl; giebt es denn kein Mittel&comma; daß ich dich von deinem Starrsinn heilen kann&excl;« –<&sol;p>&NewLine;<p>»Komm&comma; setze dich zu mir&comma;« fuhr sie ruhiger fort&comma; »ich will dir eine wahre Geschichte von einem trotzigen&comma; widerspenstigen Mädchenherzen erzählen&comma; das sein Lebensglück einer kindischen Laune opferte&comma; und wenn du dann noch sagen wirst&colon; ›Ich kann nicht&comma;‹ dann gehe hin und folge deinem harten Kopfe&comma; – ich werde nie wieder den Versuch machen&comma; ihn zu beugen &period;&period;&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Noch niemals hatte jemand in einem so überzeugenden Tone zu Ilse gesprochen&comma; derselbe verfehlte seine Wirkung nicht&period; Willig und gehorsam setzte sie sich der jungen Lehrerin gegenüber und sah erwartungsvoll und gespannt auf sie&period; Der häßliche&comma; trotzige Ausdruck schwand aus ihrem Gesichte und wer sie jetzt sah&comma; würde nicht geglaubt haben&comma; daß diese Ilse und die andre&comma; die sich vor kaum einer Stunde so wild und unbändig betragen&comma; ein und dieselbe sei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssow hatte den Kopf auf das Fensterbrett gestützt und blickte gedankenvoll hinaus in den Garten&period; Ihr blasses Gesicht hatte sich leicht gerötet und um den Mund lag ein schmerzlicher Zug&period; Es schien fast&comma; als ob ein heftiger Kampf in ihr arbeite&comma; als ob es ihr schwer werde&comma; mit dem ersten Worte zu beginnen&period; Plötzlich erhob sie sich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ist hier so drückend und schwül&comma;« sagte sie und öffnete die Fensterflügel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ein erquickender Luftzug strömte ihr entgegen&comma; ein Gewitter war im Anzuge&period; Sausend fuhr der Wind durch die Wipfel der Bäume&comma; in der Ferne grollte der Donner&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie das wohl thut&comma;« fuhr sie mit einem tiefen Atemzuge fort&comma; »die Hitze lag mir schwer wie Blei auf der Brust&period; – Wie alt bist du&comma; Ilse&quest;« unterbrach sie sich plötzlich wie in halber Zerstreuung&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Im nächsten Monat werde ich sechzehn Jahre&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sechzehn Jahre&excl;« wiederholte die Lehrerin&comma; »dann bist du alt und auch verständig genug&comma; denke ich&comma; die traurige Geschichte meiner Jugendfreundin zu begreifen&period; Hör’ zu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es war einmal ein junges&comma; fröhliches Menschenkind&comma; das mit seinen sechzehn Jahren die Welt zu erstürmen meinte&period; Vater und Mutter waren ihm früh gestorben und so kam es&comma; daß die kleine Waise zu der Großmutter gegeben wurde&comma; die sie erzog und von Grund auf verzog&period; Lucie&comma; so wollen wir das Mädchen nennen&comma; hatte nie gelernt zu gehorchen oder sich zu fügen&comma; sie erkannte nur einen Willen an&comma; und das war der eigene&period; Das war sehr schlimm für sie&comma; denn bei manchen guten Eigenschaften des Herzens besaß Lucie einen häßlichen Fehler&comma; den Trotz&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Anstatt denselben durch unerbittliche Strenge schon in der Kindheit zu zügeln&comma; pflegte ihn die Großmama durch allzugroße Nachsicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Warum soll ich dem Kinde nicht seinen Willen thun&quest;‹ fragte sie&comma; wenn man sie zuweilen auf ihre Schwäche aufmerksam machte&comma; ›ist es nicht schlimm genug&comma; daß es keine Eltern hat&quest; Ich kann es nun einmal nicht traurig sehen&period;‹«<&sol;p>&NewLine;<p>»War Lucie hübsch&quest;« fragte Nellie&comma; die sich hinter Ilses Stuhl gestellt und den Arm um deren Schulter gelegt hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich glaube wohl&comma;« entgegnete die Angeredete und errötete leicht&comma; »wenigstens hat man es dem erwachsenen Mädchen oftmals gesagt&period; Doch das ist Nebensache – hört mich weiter an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die Großmutter besaß ein herrliches Landhaus&comma; dessen Park sich an einen bewaldeten Bergesabhang lehnte&period; Man durfte nur eine kleine Pforte&comma; die sich am Ausgange des Grundstückes befand&comma; durchschreiten und befand sich im schönsten Walde&comma; den ihr euch denken könnt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Selten kamen Spaziergänger aus dem nahen Städtchen dorthin&comma; desto öfter benutzte Lucie die kleine Ausgangspforte&comma; durchstreifte den Wald bis an die Spitze des Berges&comma; oder was sie noch häufiger that&comma; sie lagerte sich an irgend einem versteckten Platze&period; So im weichen&comma; schwellenden Moose zu liegen&comma; ein gutes Buch zu lesen und darüber die Welt zu vergessen&comma; – das war die höchste Wonne ihres Lebens&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Eines Tages hatte sie wieder ihren Lieblingsplatz am Fuße einer Eiche aufgesucht&period; Die Luft war heiß und schwül und doppelt wohlthuend empfand sie die Waldeskühle&period; Sie streckte die schlaffen Glieder im Moose aus und blickte hinauf in das grüne Blätterdach&period; Nicht lange&comma; dann öffnete sie das mitgebrachte Buch und las&period; So vertieft war sie bald in den Inhalt desselben&comma; daß sie der Gegenwart ganz entrückt war&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>»Eine männliche Stimme schreckte sie plötzlich auf&period; Aergerlich über die Störung blickte sie auf und sah in das lächelnde Antlitz eines jungen Mannes&comma; der mit Pinsel und Palette in der Hand vor ihr stand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ein wunderbares Bild&excl;‹ rief er aus&period; ›Wahrlich&comma; ich hätte Lust&comma; dasselbe zu malen&excl; Bleiben Sie in der Stellung&comma;‹ bat er&comma; als Lucie sich schnell erheben wollte&comma; ›nur wenige Augenblicke&excl; Aber so böse dürfen Sie nicht aussehen&comma; – nein&comma; ich bitte&comma; wieder derselbe Zug von Spannung um den Mund&comma; – dasselbe erwartungsvolle Lächeln – bitte&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Was fällt Ihnen ein&quest;‹ rief Lucie aufgebracht und erhob sich mit einem Sprunge&period; Dabei fiel ihr das Buch aus der Hand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Er kam ihr zuvor&comma; als sie sich schnell darnach bücken wollte&semi; doch ehe er es ihr überreichte&comma; las er das Titelblatt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Werthers Leiden‹&comma; bemerkte er und lachte lustig&period; ›Dacht’ ich es doch&excl; Natürlich verbotene Lektüre&comma; die in der Waldeinsamkeit verschlungen wird&excl; Oder hat der Herr Papa vielleicht Ihnen diese gefährliche Geschichte erlaubt&quest;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Lucie entriß ihm das Buch&comma; aber sie wurde über und über rot&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ich verbitte mir Ihre Bemerkungen&excl;‹ entgegnete sie zornig&period; ›Wer hat Ihnen erlaubt&comma; mich zu beobachten&quest;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ich nahm mir selbst die Freiheit&comma;‹ sagte er sich verbeugend&comma; ›und bitte dafür um Verzeihung&period; Ein Zufall brachte mich in Ihre Nähe&comma; dort jene Buchengruppe war ich im Begriffe zu malen&comma; – da erblickte ich Sie&comma; und können Sie mir verdenken&comma; daß ich dem Zauber nicht widerstehen konnte&comma; Sie zu betrachten&quest;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie gab keine Antwort&comma; ja sie grüßte nicht einmal&comma; als sie eilig davon ging&period; Sie empfand Unwillen und Aerger über den Aufdringlichen und doch – gefiel er ihr&period;« –<&sol;p>&NewLine;<p>»War er ein schön Mann&quest;« fragte Nellie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; er war schön und klug und gut&period; Von den letzteren Eigenschaften konnte Lucie sich bald überzeugen&comma; denn der Maler machte unter irgend einem Vorwande einen Besuch in der Großmutter Hause&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie bald er der Liebling derselben&comma; wie er nach und nach täglicher Gast bei ihr wurde und wie er endlich der trotzigen Lucie Herz gewann&comma; das kann ich euch nicht erzählen&comma; nur so viel&comma; daß sie eines Tages seine Braut war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es war ihm nicht leicht geworden&comma; ihr Jawort zu erringen&comma; denn wenn er heute glaubte&comma; daß sie ihn gern möge&comma; war er morgen vom Gegenteil überzeugt&period; Wenn er im Begriffe war&comma; sie zu fragen&colon; hast du mich lieb&quest; reizte sie ihn gerade durch Trotz und Widerstand&comma; und das Wort erstarb ihm auf den Lippen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Endlich trug er den Sieg davon&period; An ihrem achtzehnten Geburtstage war es&comma; als sie mit ihm vor die Großmama trat und jubelnd ausrief&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ich bin Braut&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; glaubt ihr&comma; Lucie ist eine andre geworden&quest; Das Glück und die Liebe haben sie nachsichtiger gestimmt&comma; nicht wahr&comma; ihr glaubt&comma; das könne nicht anders sein&quest; – Wie seid ihr im Irrtum&excl; Das Gegenteil war der Fall&period; Ihr Widerstand trat gegen den Mann&comma; den sie von ganzem Herzen liebte&comma; oftmals heftiger hervor&comma; als je vorher&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Welche Mühe gab er sich&comma; sie von diesem Fehler zu heilen&comma; wie eindringlich und liebevoll stellte er ihr die Folgen desselben vor&semi; sie hörte ihn an und versprach sich zu bessern&comma; – aber ihr Wort hielt sie nicht&comma; – – leider&excl; – Hätte sie es gethan&comma; wie viel Kummer und Herzeleid hätte sie sich erspart&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Einen Augenblick hielt die junge Lehrerin inne&comma; ein scharfer Beobachter hätte ihr ansehen können&comma; wie schwer es ihr wurde&comma; die Geschichte weiter zu erzählen&comma; – die jungen Mädchen indessen merkten nichts davon&period; Sie glaubten&comma; die Heftigkeit des Gewitters habe die Pause hervorgerufen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O bitte&comma; fahren Sie fort&comma;« bat Nellie&comma; deren Augen vor Entzücken glänzten&semi; niemals bis jetzt hatte das Fräulein ähnliches erzählt&comma; »bitte&comma; weiter&excl; O&comma; ich bin zu gierig&comma; weiter zu wissen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse saß still und sinnend da&period; Was sie da hörte&comma; berührte eine verwandte Saite in ihr&comma; oftmals hatte sie das Gefühl&comma; als ob das junge Mädchen nicht Lucie&comma; sondern Ilse geheißen habe&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>»Lucies Brautzeit neigte sich zu Ende&comma;« fuhr Fräulein Güssow fort&comma; »in vier Wochen sollte die Hochzeit sein&period; An dem Morgen eines herrlichen Maitages saß das Brautpaar auf der Veranda vor dem Hause und träumte sich in die Zukunft hinein&period; Es wurde eine Reise nach der Schweiz und Italien geplant&comma; – den ganzen Sommer wollten sie umherschweifen&comma; und wo es ihnen am schönsten gefiel&comma; dort wollten sie für den Winter ihr Nest bauen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Der Himmel wölbte sich hoch und blau über ihnen&comma; die Frühlingssonne lachte sie freundlich an&comma; – ringsum blühte&comma; duftete und zwitscherte es&comma; kein Mißton störte das wunderbare Lenzesleben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Lucie machte Pläne und malte sich aus&comma; wie sie leben und wie sie sich einrichten wollten&period; Sie hing am Aeußeren und hatte eine lebhafte Phantasie&comma; da war es denn am Ende ganz natürlich&comma; daß ihre Wünsche und Hoffnungen bis an den Himmel reichten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Er hatte ihrem Geplauder lächelnd gelauscht&comma; ohne sie zu unterbrechen&period; Da gab ihm ein unglücklicher Zufall die Frage ein&colon; ›Wie würdest du es ertragen&comma; Lucie&comma; wenn wir uns ganz einfach einrichten müßten&comma; wenn wir nicht reisen könnten – wenn wir wenig Mittel hätten&comma; – mit einem Worte&comma; wenn die Not an uns herantreten würde&quest;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Die Not&quest;‹ fragte sie erstaunt und sah ihn beinahe entsetzt an&period; ›Das wäre furchtbar&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Du giebst mir keine Antwort auf meine Frage&comma; liebes Herz&period; Ich meine&comma; ob deine Liebe zu mir so stark sein würde&comma; daß du ohne Klage auch ein armseliges Los mit mir teilen würdest&quest;‹ –<&sol;p>&NewLine;<p>»Es verdroß sie&comma; daß Curt&comma; so hieß der Maler&comma; durch unnütze Fragen einen Mißklang in ihre frohe Stimmung brachte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Laß doch den Unsinn&excl;‹ wehrte sie ab&comma; ›wir werden nie in solche Lage kommen&period; Ich bin reich und deine Bilder werden hoch bezahlt&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Man kann nicht wissen&comma; was in den Sternen für uns geschrieben steht&comma;‹ entgegnete er ernst&period; ›Du könntest zum Beispiel dein Vermögen verlieren&comma; – und ich – nun wenn ich krank würde und nicht malen könnte&quest;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Warum quälst du mich mit allerhand dummen Möglichkeiten&comma; Curt&comma;‹ sagte sie ungeduldig&period; ›Ich antworte dir nicht auf solche Fragen&period;‹ Und sie wandte sich halb von ihm ab&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Du sprichst jetzt gegen deine bessere Ueberzeugung&comma; du kleine Widerspenstige&comma;‹ sagte er halb ernst&comma; halb scherzhaft&period; ›Ich weiß&comma; du wirst mir ganz bestimmt meine Gewissensfrage beantworten&comma; ich weiß auch&comma; meine Lucie würde den Mut haben&comma; ein sorgenvolles Leben mit mir zu teilen&comma; wie sie meine Gefährtin in Glück und Wohlstand werden wollte&period; Nicht wahr&quest; Du siehst ein&comma; Liebling&comma; daß ich von meiner zukünftigen Frau das verlangen kann&quest;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Das sehe ich nicht ein&excl;‹ rief Lucie sehr entrüstet und entzog ihm ihre Hand&comma; die er liebevoll ergriffen hatte&period; ›Armselige Verhältnisse würden mich unglücklich machen – ja&comma; unglücklich machen&excl;‹ wiederholte sie&comma; als er sie zweifelnd ansah&comma; ›lieber würde ich gar nicht heiraten&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Er wurde blaß bei ihren Worten&comma; aber noch wollte er nicht an den Ernst derselben glauben&period; ›Hast du mich lieb&comma; Lucie&quest;‹ fragte er sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ja&comma; aber in einer Hütte bei Salz und Brot mag ich nicht mit dir wohnen&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Kein ›Aber‹&comma; Lucie&period; Hast du mich lieb&quest; Sage ja und nimm zurück&comma; was du gesagt hast&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Nein&excl;‹ rief sie entschieden und sprang von ihrem Platze auf&period; ›Nichts nehme ich zurück&excl; Was ich gesagt habe&comma; ist meine wahre Meinung&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Lucie&excl;‹ rief er erregt&comma; ›besinne dich&excl; Es ist nicht wahr&comma; du denkst nicht wie du sprichst&excl; Dein Widerspruch gab dir die Worte ein &period;&period;&period;&period;&excl; Nimm sie zurück&comma; Herz&excl;‹ und flehend blickte er ihr in das Auge&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Du irrst&comma;‹ entgegnete sie mit scheinbarer Kälte&comma; ›nicht aus Widerspruch&comma; sondern mit voller Ueberzeugung sagte ich dir meine Ansicht&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Nein&comma; nein&excl; Ich kann’s&comma; ich will’s nicht glauben&excl; – Komm her&comma; sieh’ mich an&period; Deine Augen sollen mir die Antwort geben&comma; ich weiß&comma; daß sie nicht lügen können&period; – Du liebst mich&quest; Ja&quest; Nicht wahr&comma; du hast mich lieb&quest;‹ wiederholte er noch einmal dringend – ›und du nimmst zurück&comma; was du gesagt&quest;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Unglücklicherweise hatte die Großmama auf der entgegengesetzten Seite der Veranda gesessen und war so eine stumme Zeugin dieser Scene geworden&period; Aengstlich erhob sie sich und trat dem jungen Paare näher&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Sie dürfen Lucie nicht so übel nehmen&comma; was sie sagt&comma; lieber Curt&comma;‹ sprach sie beruhigend&comma; ›es kommt ihr nicht vom Herzen&comma; glauben Sie mir&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Die alte Frau hatte es gut gemeint&comma; aber sie stiftete Unheil an&period; Hätte sie sich nicht in den Streit gemischt&comma; vielleicht war es besser&period; Ihre gütigen Worte stachelten Lucies Trotz noch mehr an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Es kommt mir wohl aus dem Herzen&excl;‹ rief dieselbe aufgebracht&comma; ›und ich wiederhole noch einmal&colon; Lieber heirate ich gar nicht&comma; als daß ich Not und Mangel leide&excl;‹« –<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; wie hart ist sie&excl;« warf Nellie ein&comma; als Fräulein Güssow wie erschöpft einen Augenblick innehielt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie war nicht hart&comma; nur verblendet&comma;« fuhr diese fort&period; »Niemals hatte sie gelernt&comma; sich einem andern Willen zu beugen&comma; niemals war sie im stande gewesen nachzugeben&period; Jetzt&comma; wo das ernste Verlangen ihres Verlobten in aller Entschiedenheit an sie herantrat&comma; ihren Widerstand zu zähmen&comma; da bäumte derselbe sich dagegen auf und sie unterlag seiner Macht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ist das dein letztes Wort&comma; – Lucie&excl;‹ – Wie ein Schrecken kam es über seine Lippen&period; Sie blieb ungerührt&comma; wandte sich von ihm und eilte aus dem Zimmer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Besorgt folgte ihr die Großmama&comma; aber sie klopfte vergeblich an der verschlossenen Thüre&comma; dieselbe wurde nicht geöffnet&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>»Lucie befand sich in keiner beneidenswerten Stimmung&period; Es kochte und tobte in ihr und verworrene Gedanken durchzuckten ihr Hirn&period; War es recht&comma; wie sie gehandelt hatte&quest; ›Ja&comma;‹ antwortete sie sich darauf&comma; ›ich bin im Rechte&period; Warum schreckt er mich mit den Gespenstern Sorge und Not&comma; warum peinigt er mich damit&quest; Ich will in eine glückliche Zukunft sehen und er will mir das Herz schwer machen mit Unmöglichkeiten&period; Und welch eine wichtige Sache er daraus macht&quest; – Ich soll zurücknehmen&comma; was ich gesagt habe&excl; Solch ein Verlangen&excl; Abbitte soll ich thun – Abbitte&excl; Und er hat mich doch erst herausgefordert&period; Er ist an allem schuld&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Aus einem Winkel ihres Herzens meldete sich auch eine Stimme&comma; die ihr zurief&colon; ›Gieb nach&excl; Reich’ ihm die Hand&comma; oder du hast ihn verloren&excl;‹ Sie wurde nicht beachtet&comma; und als eine Stunde vergangen war&comma; hatte sie sich so völlig in den Gedanken an ihre Schuldlosigkeit eingelebt&comma; daß sie erwartete&comma; Curt müsse kommen und sie um Verzeihung bitten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Er kam auch und begehrte Einlaß&period; ›Oeffne mir&comma; Lucie&comma;‹ rief er stürmisch&comma; ›es hängt unser Glück davon ab&excl; Ich muß dich sprechen&excl; – Ich will dich sprechen&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Das klang wie ein Befehl&comma; sie schwieg und gab keine Antwort&period; Wohl klopfte ein guter Engel an ihr Herz und rief ihr warnend zu&colon; ›Erhöre ihn und es wird alles gut‹ – sie war taub gegen seine Stimme&period; Ein böser Geist hielt sie für den Augenblick gefangen und trauernd floh ihr guter Engel von dannen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ich will nicht mit dir reden&excl;‹ rief sie zurück&comma; ›ich wüßte auch nicht&comma; was du mir noch sagen könntest&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›So treibst du mich fort von dir&comma; Lucie&excl;‹ – rief er außer sich&period; ›Bedenke was du thust&excl; Ich gehe und nicht eher kehre ich zu dir zurück&comma; bis du mich zurückrufst&colon; Lebe wohl&excl;‹ – –<&sol;p>&NewLine;<p>»Es waren die letzten Worte&comma; die sie von ihm gehört hat&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nach einer in Aufregung durchwachten Nacht brach der nächste Tag an&period; Der trotzige Aufruhr in Lucies Innern hatte sich gelegt und einer unzufriedenen Stimmung Raum gemacht&period; Nachzugeben fühlte sie sich auch heute nicht geneigt&comma; aber sie wollte ihn heute anhören&comma; wenn er kam&comma; – und daß er kommen werde&comma; darauf hoffte sie fest&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber sie hoffte vergebens&period; Die Großmama überhäufte ihre Enkelin mit bitteren Vorwürfen und forderte sie unter Thränen auf&comma; sie möge nachgeben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»›Wird es dir denn so schwer&comma;‹ sagte sie&comma; ›dem Manne&comma; dem du in vier Wochen die Hand für das Leben geben willst&comma; ein bittendes Wort zu sagen&quest; Ueberwinde dich&comma; Lucie&comma; nimm deine bösen Worte zurück&comma; oder es giebt ein Unglück&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»›Ich kann nicht&comma; Großmama&period; Ich müßte ja abbitten&comma; so verlangt er&comma; und du weißt&comma; ich that es nie&excl; Er kehrt auch ohne meinen Ruf zurück&comma; du wirst es sehen&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber auch der nächste Tag verging und er blieb aus&period; Lucie befand sich in einer fieberhaften Aufregung und schrak zusammen&comma; sobald sich die Thür öffnete&period; – Am dritten Tage&comma; – es war gegen Abend&comma; sie hatte wieder vergeblich ihn erwartet&comma; da brachte Curts Diener ihr einen Brief&period; Sie eilte auf ihr Zimmer&comma; um ihn allein und ungestört zu lesen – es war doch endlich – endlich ein Zeichen von ihm&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>»Hastig öffnet sie und in zwei Teile gebrochen fiel ihr Curts Verlobungsring entgegen&period; Wenige Zeilen nur schrieb er dazu&period; – Ich will versuchen euch dieselben zu wiederholen&comma;« unterbrach sich Fräulein Güssow&comma; »Lucie hat sie mir oftmals zu lesen gegeben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du hast mich nicht zurückgerufen&comma; – – so sehnsüchtig ich auch darauf gehofft habe&period; Liebtest Du mich&comma; wie ich Dich&comma; wäre es Dir nicht schwer geworden&comma; ein versöhnendes Wort zu sagen&period; Lebe wohl denn&comma; ich muß von Dir scheiden&comma; Lucie&comma; weil ich Dir nicht versprechen kann&comma; Dir stets Wohlstand und Glück zu bieten&period; – – Mit welchem Rechte könnte ich vom Schicksal verlangen&comma; daß mein Leben nur von der Sonne beschienen werde&quest; Leb’ wohl&comma; – ich habe Dich sehr geliebt&period;« –<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie gebrochen sank sie zur Erde nieder und hätte vor Schmerz vergehen mögen&period; Das hatte sie nicht gedacht&comma; – so weit hatte sie es nicht treiben wollen&period; – Nun war es zu spät&comma; alle Reue&comma; alle Selbstanklage&comma; brachten ihr den Geliebten nicht zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die Großmama fand Lucie in einem verzweiflungsvollen Zustande&comma; und heimlich&comma; ohne ihr Wissen&comma; schickte sie einen Boten in Curts Wohnung&period; Er kehrte zurück mit der Meldung&colon; der Herr sei seit zwei Stunden abgereist&period; – Sie hatte ihn auf ewig verloren&excl;« –<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; die arm’ Lucie&excl; Der schlechter Mensch&comma; warum konnt’ er ihr verlassen&excl;« rief Nellie unter Weinen&period; »Er hat ihr gar nix lieb gehabt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Er hat sie sehr geliebt&comma;« entgegnete die Lehrerin und sah hinaus auf den strömenden Regen&semi; »aber er war ein ganzer Mann&comma; der Lucies trotzigen Widerstand nicht länger ertragen konnte&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Und wo ist Lucie geblieben&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Lucie&quest;« wiederholte Fräulein Güssow zögernd&comma; – »ein trauriges Geschick hat sie getroffen&period; Ein Jahr nach dem Geschehenen verlor die Großmutter fast ihr ganzes Vermögen&period; Die Villa mußte verkauft werden und Lucie&comma; das verwöhnte und verzogene Mädchen&comma; war gezwungen&comma; für die Zukunft ihr eignes Brot zu verdienen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse sah entsetzt die Lehrerin an&period; »Ja&comma; ihr Brot zu verdienen&comma;« betonte dieselbe&period; »Das erschreckt dich&comma; nicht wahr&quest; Aber es wurde ihr nicht so schwer&comma; als sie einstmals geglaubt&period; Seit jenem Tage&comma; da sie das Schwerste erfahren&comma; war eine Aenderung in ihrem Wesen vorgegangen&period; Still und ernst ging sie einher und ihr übermütiges Lachen war verschwunden&period; – Sie bereitete sich vor&comma; Gouvernante zu werden&comma; und als sie ihr Examen bestanden hatte&comma; ging sie&comma; nachdem sie die Großmama durch den Tod verloren&comma; nach London&period; Sie wirkt dort als Lehrerin in einem Institute&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Und der Maler&quest; Hat die arm’ Lucie nie gehört davon&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Seine Werke hat sie oft in den Galerien bewundert – er selbst blieb verschollen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Oh wie ein furchtbar trauriges Geschicht’ ist das&excl;« rief Nellie&period; »Es thut mich sehr weh&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Ilse&quest; Sie saß da&comma; die Hände gefaltet&comma; mit gesenktem Blick&period; Sie war bis in das Innerste getroffen&period; Wie Lucie hätte auch sie gehandelt&comma; auch sie würde es bis zum Aeußersten getrieben&comma; auch sie würde ihr Lebensglück im trotzigen Uebermute geopfert haben&period; – Noch schwankte sie einen Augenblick&comma; wie im Kampf mit sich selber&comma; dann aber erhob sie sich schnell und ergriff Fräulein Güssows Hand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich will um Verzeihung bitten&comma;« sagte sie in leisem Tone&comma; es war&comma; als ob sie sich scheue&comma; ihre eigenen Worte zu hören&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ueber der Lehrerin Gesicht glitt ein Freudenschimmer&period; Sie nahm die Reuige in den Arm und küßte sie zärtlich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Geh’ – geh’&comma;« sagte sie gerührt&comma; »und wenn je ein böser Geist wieder über dich kommen will&comma; denk’ an Lucies traurige Geschichte&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Zögernd und beklommen stieg Ilse die Treppe hinunter&period; Vor der Vorsteherin Zimmer blieb sie stehen&period; Sie konnte sich nicht entschließen&comma; die Thür zu öffnen&period; Zweimal hatte sie schon die Hand nach dem Drücker ausgestreckt und wieder zurückgezogen&period; Es war so furchtbar schwer&comma; die erste Abbitte zu thun&period; Ob sie umkehre&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Einen Augenblick war sie es willens&comma; ja&comma; schon machte sie eine leichte Wendung zurück&comma; da hörte sie Fräulein Güssow die Treppe herabkommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sollte dieselbe sie unverrichteter Sache hier finden&quest; Sie hätte sich vor ihr schämen müssen&period; Mit einem tiefen Atemzuge öffnete sie die Thür&period;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;007&period;jpg&quest;m&equals;1382216909&" alt&equals;"" width&equals;"329" height&equals;"700"><&sol;p>&NewLine;<p>Die Vorsteherin saß an ihrem Schreibtische&semi; als sie Ilse eintreten sah&comma; erhob sie sich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilses Herz klopfte zum Zerspringen&period; Als sie das strenge&comma; zürnende Auge Fräulein Raimars auf sich gerichtet sah&comma; entsank ihr der Mut&period; Sie versuchte zu sprechen&comma; aber es war ihr unmöglich&comma; ein Wort hervorzubringen&comma; die Kehle erschien ihr wie zugeschnürt&period; Es war eine Folterqual&comma; die sie ausstand&comma; und wenn jetzt der Boden unter ihren Füßen sich plötzlich geöffnet und sie hätte verschwinden lassen&comma; sie würde es für eine Wohlthat des Himmels angesehen haben&period; Aber diese Wohlthat blieb aus&comma; und Ilse stand noch immer wortlos vor der Vorsteherin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Schon regte sich wieder der alte Trotz&comma; der ihr eingab&comma; es ruhig darauf ankommen zu lassen und sich nicht zu beugen – da war es&comma; als ob Lucie sie traurig anblicke&comma; als ob sie ihr mahnend zurief&colon; »Nicht zurück&excl; Geh’ mutig vorwärts&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun Ilse&quest;« unterbrach Fräulein Raimar das minutenlange Schweigen&period; »Was ist dein Begehr&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse machte eine vergebliche Anstrengung zu sprechen und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus&period; Abgebrochen und unverständlich kam es von ihren Lippen&colon; »Ver–zeih–ung&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar war sehr aufgebracht über Ilses Betragen gewesen und sie hatte die Absicht gehabt&comma; ihr eine derbe Lektion dafür zu geben&comma; als sie indes dieselbe so zerknirscht und reuevoll vor sich stehen sah&comma; wurde sie milder gestimmt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Für diesmal&comma;« sagte sie&comma; »will ich dir vergeben&comma; ich sehe&comma; daß du dich selbst mit Vorwürfen strafst&comma; und daß du zur vollen Erkenntnis deines Ungehorsams gekommen bist&period; Bessre dich&excl; Beträgst du dich ein zweites Mal in ähnlicher Weise&comma; würde ich die strengsten Maßregeln ergreifen&comma; das heißt&colon; ich würde dich zu deinen Eltern zurückschicken&excl; – Ich hoffe&comma; du vergißt dich niemals wieder&comma; versprich mir das&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Beinah hätte sie sich sofort gegen dieses Versprechen aufgelehnt und geantwortet&colon; »Schicken lasse ich mich nicht&excl; Dann gehe ich lieber gleich zu meinen Eltern&comma;« – da war es wieder Lucies warnendes Beispiel&comma; das diese böse Antwort von ihren Lippen scheuchte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Zögernd und noch immer schluchzend ergriff sie des Fräuleins Hand&period; »Nie – wieder&excl;« stammelte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und Fräulein Raimar war von der Wahrheit ihres Versprechens überzeugt und hatte beinah Mitleid mit der Reumütigen&period; »Nun geh’ und beruhige dich&comma;« sagte sie in mildem Tone&comma; »und sehe ich&comma; daß du dich besserst&comma; wird der heutige Tag von mir vergessen sein&period; –«<&sol;p>&NewLine;<p>Als Ilse die Treppe zu ihrem Zimmer wieder hinaufstieg&comma; fühlte sie sich leicht wie nie im Leben&comma; es war ihr so frei und froh in der Brust&comma; niemals hatte sie eine ähnliche Empfindung gekannt&period; Es war das Bewußtsein&comma; sich selbst überwunden zu haben&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>Der Juli und August waren vorüber und man befand sich in den ersten Tagen des September&period; Ilse hatte sich mehr und mehr in das Pensionsleben eingelebt und fühlte sich längst keine Fremde mehr&period; An vieles&comma; das ihr anfangs unmöglich erschien&comma; hatte sie sich gewöhnt&comma; ja gewöhnen müssen&period; Wie hätte sie auch vermocht&comma; sich gegen das einmal Bestehende aufzulehnen&excl; Das frühe Aufstehen&comma; das regelmäßige Arbeiten&comma; die Ordnung und Pünktlichkeit&comma; die streng innegehalten wurden&comma; – schwer genug hatte sie sich in all diese Dinge gefunden&comma; und wer weiß&comma; ob sie es überhaupt je gethan hätte&comma; wenn Nellie nicht wie ein guter Geist ihr stets zur Seite gestanden hätte&period; Mit ihrer fröhlichen Laune half sie der Freundin über manche Schwierigkeit hinweg und oft verstand sie es&comma; durch ein Wort&comma; ja durch einen Blick dieselbe zu zügeln&comma; wenn sich die alte Heftigkeit melden wollte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eine heftige Szene hatte sie übrigens nicht wieder herbeigeführt&period; Fräulein Güssows Erzählung war auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte ihren trotzigen Sinn etwas nachgiebiger gemacht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ueber ihre Fortschritte und Fähigkeiten herrschte unter ihren Lehrern und Lehrerinnen eine sehr verschiedene Ansicht&comma; wie dieses in der letzten Konferenz recht deutlich zu Tage trat&period; Der Rechenlehrer und der Lehrer der Naturgeschichte behaupteten&comma; daß Ilse ohne jede Begabung sei&comma; daß sie weder Gedächtnis&comma; noch Lust am Lernen besitze&period; Andre waren vom Gegenteile überzeugt&period; Fräulein Güssow&comma; die in der Litteratur und Doktor Althoff&comma; der Deutsch&comma; Geschichte und in der französischen Litteratur unterrichtete&comma; waren in jeder Beziehung mit Ilses Kenntnissen und ihren Fortschritten zufrieden&period; Professor Schneider lobte ganz besonders ihren Fleiß und ihre Ausdauer&comma; die sie bei ihm entwickle&comma; und erklärte mit aller Entschiedenheit&comma; wenn Ilse so fortfahre&comma; würde sie es mit ihrem Talente weit bringen&comma; sie habe in den acht Wochen&comma; in denen sie seine Schülerin sei&comma; so große Fortschritte im Zeichnen gemacht&comma; wie nie eine andre zuvor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ueber dieses Lob geriet Monsieur Michael in Entzücken&period; Ja er vergaß sich in seiner lebhaften Freude so weit&comma; daß er ausrief&semi; »Bravo&comma; Monsieur Schneider&excl; So spreche auch ich&comma; sie ist eine hochbegabte&comma; eine entzückende&comma; junge Mademoiselle&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar lächelte über diese Ekstase und erkundigte sich nach Ilses Betragen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da kam denn leider manches bedenkliche Kopfschütteln an den Tag&period; Besonders wurde von einigen sehr gerügt&comma; daß sie bei dem geringsten Tadel eine trotzige Miene mache&comma; daß sie sogar mehrmals gewagt habe&comma; zu widersprechen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Leider&comma; leider ist dem so&comma;« bestätigte die Vorsteherin&comma; »und ich habe nicht den Mut&comma; zu glauben&comma; daß wir sie ändern können&period; Ich fürchte sogar&comma; daß ihr zügelloser Sinn uns eines Tages eine ähnliche Szene&comma; wie die bereits erlebte&comma; machen wird&comma; und was geschieht dann&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Dann geben wir sie den Eltern zurück&comma;« fiel Miß Lead lebhaft ein&period; »Ich glaube&comma; daß es dahin kommen wird&period; Ilse ist nicht nur verzogen&comma; sie ist – wie soll ich sagen – sehr bäurisch&comma; sehr brutal&comma; sie paßt nicht in unsre Pension&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Doktor Althoff warf der Engländerin einen etwas ironisch lächelnden Blick zu&comma; als wollte er sagen&colon; Du freilich mit deinen übertriebenen&comma; strengen Formen hast kein Verständnis für das junge&comma; frische Wesen mit seinem natürlichen Sinn – »Ich glaube&comma; Sie irren&comma; meine Damen&comma;« wandte er ein&comma; »in unsrer kleinen Ilse steckt ein tüchtiger Kern&period; Lassen Sie nur erst die etwas rauhe Schale sich von demselben abgestoßen haben und Sie werden sehen&comma; in welch ein liebenswürdiges&comma; natürliches&comma; echt weibliches Wesen sich die bäurische&comma; ›brutale Ilse‹&comma;« er betonte die letzten Worte etwas stark&comma; »verwandeln wird&period; Von der Natur ist sie dazu beanlagt&comma; glauben Sie mir&period; Man muß nur nicht von der kurzen Zeit&comma; die sie bei uns verweilt&comma; gar zu viel verlangen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Miß Lead zuckte die Achseln und machte eine abweisende Miene&period; Fräulein Güssow dagegen sah Doktor Althoff dankbar an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das sage ich mit Ihnen&comma; Herr Doktor&excl;« stimmte sie bei&period; »Wir müssen Geduld haben mit unsrem wilden Vogel&comma; der bis jetzt nur die Freiheit kannte&period; Fehler&comma; die durch jahrelange&comma; allzunachsichtige Erziehung in dem Kinde groß gezogen wurden&comma; können unmöglich in wenigen Wochen vollständig abgestreift sein&period; Mir scheint&comma; daß wir schon viel erreicht haben&comma; wenn wir daran denken&comma; wie wenig Arbeitstrieb Ilse mit in die Pension brachte und wie sie jetzt gewissenhaft und sogar in manchen Fächern ihre Aufgaben sehr trefflich anfertigt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssows Behauptung war vollständig berechtigt&period; Ilse war weit strebsamer geworden&comma; das gute Beispiel der übrigen Mädchen spornte sie mächtig an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Anfangs war es ihr gleichgültig gewesen&comma; ob man sie in die erste oder zweite Klasse brachte&comma; als sie indes die Bemerkung machte&comma; daß alle ihre Mitschülerinnen jünger waren&comma; als sie&comma; da erwachte der Ehrgeiz und zugleich ein Eifer in ihr&comma; der sie antrieb&comma; das Versäumte nachzuholen&comma; zu lernen und zu arbeiten&comma; damit sie bald in die erste Klasse komme&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ihre Aufsätze besserten sich mit jedem Mal&comma; auch nahm sie sich sehr zusammen&comma; keine orthographischen Schnitzer mehr zu machen&period; Sie hatte allen Respekt vor Doktor Althoff&comma; der stets mit einem leichten Spott dergleichen Fehler zu rügen wußte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ihr letzter Aufsatz war der beste in der Klasse gewesen&period; »Ein Spaziergang durch den Wald« hieß das gegebene Thema und sie hatte ihre Aufgabe in anmutiger und lebendiger Weise gelöst&period; Sie wurde dafür gelobt&comma; und Doktor Althoff las ihren Aufsatz der Klasse vor&comma; was stets als eine besondere Auszeichnung galt&period; Mitten im Lesen unterbrach er sich lachend&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Da ist Ihnen ein ganz abscheulicher Irrtum passiert&comma; Ilse&comma;« sagte er&comma; »denn ich kann mir kaum denken&comma; daß Sie wirklich dachten&comma; was Sie hier niederschreiben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und er trat zu ihr und zeigte ihr die verhängnisvolle Stelle&comma; die also lautete&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich war eine gans&comma; tüchtige Strecke allein gegangen&period;« – Sie errötete&comma; nahm schnell eine Feder und machte aus dem s ein z&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ein andres Mal sehen Sie sich besser vor&comma; solche Verwechselungen können höchst komisch wirken&period; Auch mit den Kommas&comma; Punkten u&period; s&period; w&period;&comma; rate ich Ihnen weniger verschwenderisch umzugehen&comma; oder haben Sie die Absicht&comma; es wie jene junge Dame zu machen&comma; die&comma; sobald sie eine Seite zu Ende geschrieben hatte&comma; ganz willkürlich die Zeichen hineinsetzte&period; Etwa zehn Kommas&comma; sieben Ausrufungszeichen&comma; fünf Fragezeichen und neun Punkte&comma; wie sie gerade Lust hatte&comma; manchmal mehr&comma; manchmal weniger&period; Das gab dann zuweilen einen tollen Sinn&comma; Sie können es sich denken&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Mädchen lachten und Ilse mit&period; Ohne jede Empfindlichkeit nahm sie eine Rüge von diesem Lehrer auf&comma; der es verstand&comma; stets die richtige Art und Weise zu treffen&period; Mit liebenswürdigem Humor&comma; in welchen er einen ernsten Tadel oftmals kleidete&comma; richtete er weit mehr aus&comma; wie mancher andre&comma; der in der Aufregung sich zu zornigen Worten hinreißen ließ&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber wie schwärmten auch seine Schülerinnen für ihn&excl; In jeder Mädchenschule giebt es gewiß einen Lehrer&comma; der zum allgemeinen Liebling erkoren wird&comma; in dem Institute des Fräulein Raimar hatte Doktor Althoff das Los getroffen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Er ist furchtbar reizend&excl;« beteuerte Melanie und schlug den Blick schwärmerisch gen Himmel&period; »Das bezaubernde Lächeln um seinen Mund&comma; das blitzende&comma; geistvolle Auge&comma; das schmale&comma; vornehme Gesicht&comma; das dunkle&comma; lockige Haar&excl; Wirklich furchtbar nett&excl;« Die neugierige Grete hatte sogar entdeckt&comma; daß Schwester Melanie in einem Medaillon&comma; welches sie an der Uhr befestigt trug&comma; ein Stückchen Papier mit seinem Namen geborgen hatte&period; Es war eine Unterschrift von seiner Hand&comma; die sie unter einem früheren Aufsatze fortgeschnitten hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Flora Hopfstange besang den Gegenstand ihrer Verehrung in den überschwenglichsten Gedichten&comma; auch war er der Held ihrer sämtlichen Novellen und Romane&period; Wie zufällig verlor sie zuweilen eines ihrer schwärmerischen Gedichte&comma; natürlich nur in der Litteraturstunde&comma; indessen vergeblich&period; Doktor Althoff hatte noch niemals eine ihrer kostbaren Dichterblüten gefunden&period;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;008&period;jpg&quest;m&equals;1382216973&" alt&equals;"" width&equals;"314" height&equals;"700"><&sol;p>&NewLine;<p>Selbst Orla teilte diese allgemeine Schwäche&comma; trotzdem sie dieselbe stets verspottete&period; Längst aber hatte sie sich verraten und das ging so zu&period; Doktor Althoff trug eine Nelke in der Hand&comma; als er die Klasse betrat und ließ dieselbe auf dem Katheder liegen&period; Kaum hatte er das Zimmer verlassen&comma; als fast sämtliche Schülerinnen&comma; wie die Stoßvögel auf die rote Blume zustürzten&comma; um sie für sich zu gewinnen&period; Orla eroberte sie glücklich&period; Hoch hielt sie ihre Siegestrophäe in die Luft und eilte damit auf ihr Zimmer&period; Vom Juwelier ließ sie sich dann ein goldenes Medaillon anfertigen mit einer russischen Inschrift darauf&period; Grete hatte das bald genug herausgewittert&comma; aber leider stand sie vor einem unlösbaren Rätsel&comma; denn Orla würde ihr nimmermehr vertraut haben&comma; daß die beiden Worte ins Deutsche übertragen hießen&colon; »Vom Angebeteten&period;« – In diese kostbare&comma; goldene Hülle legte sie die Nelke und trug sie immer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie machte es am ärgsten&period; Eines Abends&comma; als sie mit Ilse allein auf ihrem Zimmer war&comma; nahm sie ein Federmesser und ritzte damit den Anfangsbuchstaben seines Vornamens in ihren Oberarm&period; Mit spartanischem Mute ertrug sie lächelnd diese schmerzhafte Operation&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber Nellie&comma; wie albern bist du&excl;« rief Ilse&period; »Warum machst du denn den Unsinn&quest; Wenn Herr Doktor Althoff all’ eure Dummheiten erfährt&comma; müßt ihr euch doch schämen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Schweig&excl;« gebot Nellie scherzhaft&comma; »du bist noch ein klein’ grüner Schnabel&period; Du verstehst nix von heimliche Anbetung&period; Komm erst in der Jahre und lerne ihr begreifen&period; Dein Herz lauft noch in der Kinderschuhe&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse wollte sich totlachen&period; Ihr gesunder&comma; urwüchsiger Sinn verstand und begriff dergleichen krankhafte Dinge nicht&period; »Ach Nellie&excl;« rief sie fröhlich&comma; »du sprichst so weise&comma; wie eine alte Großmama&comma; und bist doch nur zwei Jahr älter als ich&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie war aber keineswegs wie eine Großmama&comma; oft sogar konnte sie recht kindlich denken und handeln&comma; wenn es darauf ankam&comma; irgend etwas für ihren Schnabel zu gewinnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eines Sonntags&comma; es war gegen Abend&comma; stand sie am offnen Fenster in ihrem Zimmer und blickte sehnsüchtig auf den Apfelbaum&comma; dessen Früchte goldgelb und rotwangig&comma; höchst verlockend zwischen dem dunklen Laube hindurch lachten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die schöne Aepfel&excl;« rief sie aus&comma; »o&comma; hatte ich doch gleich einer davon&excl; Er ist reif&comma; Ilse&comma; ich weiß&comma; ich kenne dieser Baum genau&period; Ich habe jetzt so groß’ Lust&comma; Apfel zu speisen&comma; und darf ihn doch nur ansehen&excl; Sehen – und nicht essen – es ist hart&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse&comma; die nach Nellies Muster und Angabe einen grauen Wäschbeutel mit roten Arabesken benähte&comma; legte die Arbeit beiseite und trat zu der Freundin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; die sind reif&comma;« sagte sie und betrachtete mit Kennermiene die Aepfel&comma; »wir haben dieselbe Sorte daheim&comma; das sind Augustäpfel&period; Wenn ich doch gleich in Moosdorf wäre&comma; dann stieg’ ich in den Baum und holte welche herunter&comma; aber hier – – ach&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie horchte auf und blickte Ilse an&comma; die mit wehmütigem Verlangen hinauf in den Baum sah&period; Plötzlich kam ihr ein guter Gedanke&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist in der Baum gestiegen&quest;« fragte sie&period; »O&comma; Ilse&comma; ich habe ein’ furchtbar nette Idee&excl; – Du steigst in der Baum und holst uns von der Apfel&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die letzten Worte sprach sie flüsternd&comma; damit ja kein unberechtigtes Ohr etwas erlauschte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilses braune Augen leuchteten auf&period; »Wie gern würde ich das thun&excl; Aber ich darf ja nicht&excl; Denk’ nur&comma; Nellie&comma; wenn Fräulein Raimar oder irgend jemand anderes mich sehen würde&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Laß mir nur machen&comma;« meinte Nellie und machte ein höchst listiges Gesicht&period; »Heut’ abend&comma; wenn Fräulein Raimar und alles andre auf seines Ohr liegt&comma; dann erheben wir uns wieder von unsrem Lager und die mutige Ilse wird wie eine Katz’ leise aus die Fenster steigen und in der Baum klettern&period; Der lieber Mond steckt sein’ Latern’ dazu an und leuchtet sie&comma; daß sie die besten und großesten Apfel finden kann&period; Und ich geb’ acht&comma; daß nix kommt&comma; – ich werde eine gute Spion sein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse strahlte vor Wonne&period; Der Gedanke war auch zu verlockend&comma; als daß sie noch länger Bedenken tragen sollte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist zu himmlisch&excl;« rief sie so laut&comma; daß Nellie ihr die Finger auf den Mund legte&period; »Ich ziehe meine Blouse und den blauen Rock dazu an und steige hinauf in das grüne Blätterdach&period; Es ist himmlisch&comma; Nellie&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und sie ergriff die Freundin am Arme und tanzte mit ihr durch das Zimmer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; du bist einer Engel&excl; du kluge Ilse&excl; Wenn wir nur erst Nacht hätten&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse stand schon wieder am Fenster und warf prüfende Blicke in den Baum&period; »Siehst du&comma; auf diesen Zweig steige ich zuerst&comma;« sagte sie ganz erregt&comma; »und dann auf den dort&comma; – es hängen drei herrliche Aepfel daran&comma; – die pflücke ich zuerst und werfe sie dir zu&comma; – dann geht es höher hinauf bis an Melanies und Orlas Stubenfenster&comma; – sie lassen es immer offen stehen des Nachts – dann stecke ich den Kopf hinein und rufe&colon; Gute Nacht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ilse&excl;« rief Nellie entsetzt&comma; »du darfst der Unsinn nicht thun&excl; Gieb dein’ Hand darauf&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es war nur Scherz&comma;« entgegnete Ilse&period; »Sei ohne Sorge&comma; Nellie&comma; ich werde ganz artig und still sein&comma; niemand soll von unsrem entzückenden Abenteuer erfahren&excl;« –<&sol;p>&NewLine;<p>Die Zeit verging den beiden Mädchen wie mit Schneckenpost&period; Ilse&comma; die sich wenig verstellen konnte&comma; war während des Abendessens ganz besonders lustig und aufgeregt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du siehst so unternehmend und fröhlich aus&comma;« bemerkte Fräulein Güssow&comma; »hast du eine gute Nachricht aus der Heimat erhalten&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse wurde rot und fühlte sich wie ertappt&period; Ein Glück für sie&comma; daß die Lehrerin ganz arglos die Bemerkung machte und gar nicht weiter auf sie achtete&comma; vielleicht wäre ihr doch die verräterische Röte aufgefallen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Endlich&comma; endlich&comma; war alles still im Hause&period; Die Runde durch sämtliche Schlafgemächer war gemacht&comma; und Fräulein Güssow war bereits in ihr Zimmer zurückgekehrt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie saß in ihrem Bett und lauschte&period; Sie hatte unten die Thür sich schließen hören&comma; wartete noch eine kleine Weile&comma; dann erhob sie sich und glitt wie ein Geist durch das Zimmer und lehnte sich weit zum Fenster hinaus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was machst du&quest;« fragte Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich will sehen&comma; ob Fräulein Güssow noch Licht in sein’ Schlafstube hat –« flüsterte sie&period; »Noch ist hell unten&comma; – immer noch – –«<&sol;p>&NewLine;<p>»Soll ich aufstehen&quest;« fragte Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; du sollst dir ganz ruhig halten und nicht so laut sprechen&period; Sie hat noch immer hell&period; Wie langweilig&excl; Was sie nur anfangt&excl; Warum geht sie nicht in ihr Bett und macht die Auge zu&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie beugte sich weit zum Fenster hinaus und sah unverwandt auf die seitwärts liegenden&comma; noch immer erleuchteten Fenster&period; Im Flüstertone rief sie Ilse ihre Bemerkungen zu&period; Plötzlich fuhr sie schnell mit dem Kopfe zurück und legte den Finger auf den Mund&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sei ganz still&comma; Ilse&comma; rühr’ dir nicht&comma;« sagte sie dann&comma; sich auf den Zehen zu derselben heranschleichend&comma; »sie hat eben der Kopf zum Fenster ausgesteckt und sieht in der Mond&period; Beinah’ hat sie mir erblickt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nach einem kleinen Weilchen hörte sie das Fenster schließen und als Nellie vorsichtig hinunter blickte&comma; war das Licht gelöscht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Jetzt ist die große Augenblick gekommen&comma;« wandte sie sich in pathetischem Tone an Ilse und streckte die Hand aus&comma; »erheben Sie sich&comma; mein Fräulein&comma; und gehen Sie an das großes Werk&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse war so aufgeregt durch den Gedanken an das nächtliche Abenteuer&comma; daß sie gar nicht bemerkte&comma; wie urkomisch Nellie aussah&comma; als sie in ihrem langen Nachtgewande&comma; den Arm weit ausgestreckt&comma; so vor ihr stand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eilig erhob sie sich und begann sich anzukleiden&period; Das war bald geschehen&comma; da das Blousenkleid&comma; und was sie sonst noch nötig hatte&comma; schon bereit lag&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Gegen die Stiefel erhob Nellie Einsprache&period; »Sie sind zu unschicklich&comma; zu plump&comma; du machst eine so laute Schritt&comma; daß alles aufwacht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hörte nicht darauf&period; Sie hatte dieselben bereits angezogen und schlich auf den Zehen zum Fenster hin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Gieb mir das Körbchen&comma;« bat sie&period; Nellie hing ihr ein solches um den Hals&comma; damit sie den Arm frei behalte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma; nun bist du reisefertig&comma; mach’ deine Sach’ brav&comma; mein Kind&comma;« sagte sie und küßte Ilse auf die Wange&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die hörte nichts&period; Mit leichtem Sprunge schwang sie sich auf das Fensterbrett und von dort stieg sie in den Baum&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aengstlich blickte ihr Nellie nach&period; Aber sie hatte nicht Ursache&comma; besorgt zu sein&period; Ilse kletterte leicht und gewandt wie ein Eichkätzchen trotz ihrer schweren Stiefel&period; Als sie die drei bewußten Aepfel erreichen konnte&comma; brach sie dieselben und warf sie Nellie zu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Da hast du eine Probe&excl;« rief sie übermütig in halblautem Tone&comma; »damit dir die Zeit nicht lang werde&comma; bis ich wiederkomme&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Früchte kollerten bis an das Ende des Zimmers zu Nellies Entsetzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; was thust du&excl;« flüsterte sie und erhob drohend die Finger&period; »Die Köchin schläft unter dieser Zimmer&comma; soll sie von der Spektakel aufwachen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bärbchen schläft fest&comma; ich höre sie draußen schnarchen&comma;« gab Ilse zurück&period; – »Wir können ganz ohne Sorge sein – alles schläft – alles ist still und dunkel&period; – Nun lebe wohl&comma; Nellie&comma; jetzt trete ich meine Reise an&period; Ach&comma; es ist köstlich hier&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Plötzlich bekam es Nellie mit der Angst&period; »Ich zittre für dir&comma;« sprach sie mit bebenden Lippen&comma; – »komm wieder her&comma; – es könnte ein Unglück sein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse lachte in sich hinein und stieg keck höher und höher&period; Sie war so recht in ihrem Elemente und frei wie der Vogel in der Luft regte sie ihre Schwingen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Bald hatte sie die Spitze erreicht&period; Der Mond schien voll und klar und zeigte ihr jeden Schritt&comma; den sie zu machen hatte&period; Als sie in gleicher Höhe mit dem Schlafgemache Orlas und der Schwestern war&comma; konnte sie der Versuchung nicht widerstehen&comma; einen Blick in das Fenster zu thun&period; Vorsichtig und behende balancierte sie auf dem Ast&comma; der sie trug und dessen grüne Spitzen beinahe das eine Fenster berührten&comma; und sah hinein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ruhig&comma; nichts ahnend lagen die Schläferinnen da&comma; hell vom Mondlicht beschienen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einen Augenblick regte sich der Uebermut in ihr&period; Ob sie den Mädchen einen Schabernak spielte&quest; »Nur einmal gegen die Fensterscheibe klopfen&comma;« dachte sie&comma; und schon streckte sie den Finger aus dazu&comma; – da bewegte sich Orla im Schlafe&period; Unwillkürlich fuhr Ilse zurück und ihre tolle Idee blieb unausgeführt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es hingen so viel schöne Aepfel rechts und links und überall&comma; mit kleiner Mühe hätte sie in wenigen Augenblicken ihr Körbchen damit füllen können&comma; aber dazu hatte sie keine Lust&comma; immer höher hinauf strebte ihr Verlangen&comma; sie hatte nun einmal die Freiheit gekostet&comma; so schnell wollte sie dieselbe nicht wieder aufgeben&period; Die Krone des Baumes war ihr Ziel&comma; wohl eine beschwerliche Fahrt&comma; aber sie schreckte nicht davor zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wie ein Bube erklomm sie die manchmal schwer zu erreichenden Zweige&comma; – ein einziger Fehltritt und sie lag unten mit zerbrochenen Gliedern&comma; – dieser Gedanke kam ihr nicht in den Sinn&comma; sie hatte daheim ganz andre tollkühne Kletterpartien ausgeführt und jede Furcht vor Gefahr verlernt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mutig ging es vorwärts&period; Die lauschende Nellie vernahm dann und wann ein Knacken der Aeste&comma; oder das Herabfallen eines Apfels&period; Einmal schrak sie heftig zusammen&comma; ein Vogel flog auf&period; Ilse mochte ihn in seiner Nachtruhe gestört haben&period; – Es wurde ihr recht ängstlich auf ihrem Lauscherposten&comma; eine Ewigkeit dünkte es ihr&comma; daß Ilse sie verlassen hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ilse&excl;« rief sie leise&period; Keine Antwort erfolgte&period; Wie war es auch möglich&comma; daß ihr Ruf zu derselben emporgetragen wurde&comma; die oben in der Krone stand und die erfrischende Nachtluft mit vollen Zügen einsog&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wie fühlte sie sich glückselig&comma; wie frei&comma; wie heimatlich wurde es ihr zu Mute&excl; Keine Fesseln drückten sie mehr&comma; Schulzwang&comma; Pension&comma; Vorsteherin – alles entschwand ihr wie in nebelweite Ferne – der Garten da unten gehörte dem Papa&comma; der Baum&comma; auf dem sie war&comma; stand vor seinem Fenster&comma; es war der alte Nußbaum&comma; in dessen grünem Laubwerk sie so manchmal neckend Versteck gespielt hatte mit dem Papa&comma; wenn er sie überall suchte&comma; von dessen oberster Spitze sie dann plötzlich mit einem schlichen »Juchhe&excl;« ihm antwortete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Juchhe&excl;« Ganz in Erinnerung versunken&comma; brach es plötzlich laut und kräftig aus ihrer Kehle hervor&comma; daß es weithin durch den Garten schallte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Im selben Augenblicke erwachte sie aus ihrem Traume und ganz erschrocken fuhr sie mit der Hand nach dem Mund&period; Was hatte sie gethan&excl; Aber die Reue kam jetzt zu spät&comma; vor allem mußte sie an den schnellsten Rückzug denken&comma; denn wie sie vermutete&comma; so war es&comma; ihr unvorsichtiger Ruf war im Hause vernommen worden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie war davon erwacht und richtete sich entsetzt in ihrem Bette auf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Grete&excl;« rief sie mit bebenden Lippen&comma; »hast du gehört&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma;« tönte es gedämpft zurück&period; »Melanie&comma; ich fürchte mich tot&excl;« Sie hatte sich die Decke über den Kopf gezogen und erwartete mit zitternder Angst ihr Schicksal&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auch Orla war erwacht&period; »Was war das&quest;« fragte sie&comma; »wo kam der laute Schrei her&quest; Mir war es&comma; als ob er dicht vor meinem Bette ausgestoßen wurde&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Allmächtiger Gott&excl;« schrie Melanie auf&comma; »siehst du nichts&quest; O&comma; ich habe etwas furchtbar Schreckliches gesehen&excl; Eben dort&excl; – dicht am Fenster flog es vorüber&excl; Ein Gespenst war es&comma; mit fliegenden Haaren und großen&comma; glühenden Augen&excl; Hu&comma; wie es mich ansah&comma; als ob es mich verschlingen wollte&excl; O&comma; Orla – ein Gespenst – ein Gespenst&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie klapperte mit den Zähnen vor Furcht und Schrecken&comma; und Orla&comma; die nichts gesehen hatte&comma; sondern nur ein lautes Brechen und Knacken im Baume vernommen&comma; sprang mutig aus ihrem Bette&comma; schlug ihre Steppdecke über die Schultern und sah zum Fenster hinaus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Grade hatte Ilse ihre tolle Fahrt beendet&period; In rasender Hast und Angst hatte sie dieselbe von der Höhe des Baumes bis zu ihrem Zimmerfenster gemacht&comma; und Nellie&comma; sie erwartend&comma; streckte ihr beide Arme&comma; soweit sie konnte&comma; hilfreich entgegen&period; Sie war leichenblaß und außer sich über Ilses Tollkühnheit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was hast du gemacht&quest;« flüsterte sie&comma; »du hast uns verraten&excl; – hast du gehört&quest; Ueber uns sind sie aufgeweckt&excl; – Orla spricht &period;&period;&period; Wir sind verloren&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Eilig nahm sie der am ganzen Körper zitternden Ilse&comma; deren Hände blutig geritzt waren&comma; das Körbchen ab&comma; warf die wenigen Aepfel&comma; die nicht herausgefallen waren&comma; in ihr Bett&comma; das Körbchen hinter den Schrank&comma; und legte sich nieder&comma; alles in der größten Hast&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hatte ein gleiches gethan&period; Ohne sich zu entkleiden&comma; mit Stiefel und Blousenkleid&comma; sprang sie in ihr Bett und deckte sich bis an das Kinn zu&period; Sie schloß die Augen und erwartete in Todesangst das furchtbare Strafgericht&comma; das ihrer wartete&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>Bei dem trügerischen Lichte des Mondes konnte Orla nicht erkennen&comma; was eigentlich vorging&period; Sie sah wohl eine Gestalt – sah ein Paar weiße Arme&comma; die ihr fabelhaft lang erschienen&comma; aber nur einen flüchtigen Moment&comma; dann war die ganze Erscheinung lautlos und still wie im Nebel verschwunden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie lauschte noch einige Augenblicke atemlos&comma; aber der Spuk war vorbei – nichts rührte sich&period; Trotz ihres Mutes wurde es ihr unheimlich zu Mute&period; Sie zog den Kopf zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&quest;« fragte Melanie&comma; »sahst du etwas&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma;« entgegnete Orla&comma; »deutlich habe ich eine Gestalt gesehen&comma; und ich könnte darauf schwören&comma; daß sie von zwei langen&comma; weißen Armen in Nellies Zimmer gezogen wurde&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Liebe&comma; liebe Orla&excl;« bat Melanie kläglich und mit gerungenen Händen&comma; »wecke die Leute&excl; Wenn das Gespenst noch einmal erscheint&comma; sterbe ich vor Angst&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;009&period;jpg&quest;m&equals;1382217034&" alt&equals;"" width&equals;"700" height&equals;"583"><&sol;p>&NewLine;<p>Orla ergriff die Klingelschnur&comma; die sich dicht neben ihrem Bette befand&comma; und läutete&period; In jedem Zimmer war eine solche angebracht&comma; für den Fall&comma; daß ein plötzliches Unwohlsein eine Pensionärin des Nachts befiel&period; Sämtliche Schnüre führten zu einer Hauptglocke&comma; die unten&comma; dicht neben Fräulein Raimars Schlafzimmer angebracht war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Laut und schrill&comma; wie eine Sturmglocke&comma; tönte ihr Klang&comma; der noch niemals die Ruhe gestört&comma; durch die Stille der Nacht&period; Nellie und Ilse erzitterten&comma; als ob sie ihr Sterbeglöcklein hörten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wie mit einem Zauberschlage wurde es lebendig im Hause&period; Die Fenster&comma; die eben noch dunkel und wie träumend in den Garten geblickt hatten&comma; erhellten sich&period; Thüren wurden geöffnet&comma; Stimmen laut&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Vorsteherin&comma; im tiefen Negligee&comma; ein Licht in der Hand&comma; trat zuerst aus ihrem Zimmer&period; Fast gleichzeitig erschien Fräulein Güssow&period; Als beide den Korridor passierten&comma; schoß Miß Lead aus ihrer Zimmerthür&comma; ängstlich fragend blickte sie die Damen an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie war nicht gerade eine Heldin&comma; die gute Miß&comma; der Glockenschall war ihr in alle Glieder gefahren&period; Zitternd war sie aus dem Bette gesprungen und hatte nach ihren Kleidungsstücken gesucht&period; Im Dunkeln tappte sie vergeblich darnach&period; Sie hatte Licht anzünden wollen&comma; aber die Schachtel mit Streichhölzern war ihr in der Aufregung entfallen&period; In nervöser Hast ergriff sie einen schottischen Plaid und drapierte sich denselben wie einen Mantel um ihre Gestalt&period; Ihr spärliches Haar&comma; das sie jeden Abend eine gute Viertelstunde kämmte und bürstete&comma; hing gelöst auf ihre Schulter herab&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie machte einen höchst komischen Eindruck in diesem abenteuerlichen Kostüme und die Vorsteherin gab ihr den ernstlichen Rat&comma; sie möge sich wieder niederlegen&comma; aber Miß Lead wehrte dieses Ansinnen lebhaft ab&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; nein&excl;« Und sie hing sich an Fräulein Güssows Arm so fest&comma; als ob sie bei ihr Schutz und Beistand suche&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auch mehrere Pensionärinnen waren von dem ungewohnten Lärm erwacht und aufgestanden&period; Angstvoll stürzten sie aus ihren Zimmern und folgten den Lehrerinnen dicht auf dem Fuße&comma; Flora hatte sogar einen Rockzipfel der Vorsteherin erfaßt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Orla hörte Stimmen auf der Treppe und öffnete die Thür&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ist dir oder den Schwestern etwas passiert&quest;« fragte Fräulein Raimar schnell in das Zimmer tretend&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Statt Orla antwortete Melanie&colon; »Etwas furchtbar Schreckliches haben wir erlebt&excl;« rief sie&period; »Ein Gespenst&comma; ein furchtbares Gespenst haben wir gesehen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Du hast geträumt&comma;« sagte die Vorsteherin&comma; »es giebt keine Gespenster&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich sah es mit offenen Augen&comma; Fräulein&excl;« entgegnete Melanie mit voller Ueberzeugung&period; »Erst erwachten wir alle drei von einem furchtbar lauten Schrei&comma; nicht wahr&comma; Orla&excl; gleich darauf sauste das Gespenst hier ganz dicht am Fenster vorbei&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es war vielleicht ein Spitzbube&comma; der sich Aepfel holen wollte&comma;« beruhigte die Vorsteherin&period; »Hast du auch etwas gesehen&comma; Orla&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma;« sagte sie&period; »Ich sah zum Fenster hinaus und da schien es mir&comma; als ob etwas in Nellies Zimmer verschwand –«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Pensionärinnen&comma; sogar Miß Lead&comma; drängten sich im dichten Knäuel ängstlich um Fräulein Raimar&period; Gespenster – Spitzbuben&excl; das war ja um sich tot zu fürchten&period; So schauerliche Dinge hatte man noch niemals in der Pension erlebt&period; Flora zitterte zwar vor Furcht und Erregung&comma; trotzdem fand sie dieses Erlebnis höchst romantisch&period; Sie nahm sich vor&comma; in ihrem nächsten Romane dasselbe zu verwerten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssow hatte kaum vernommen&comma; daß der Spuk in Nellies Zimmer verschwunden sein solle&comma; als sie still die Treppe hinunterstieg und sich zu den beiden Mädchen begab&period; Sie öffnete die Thür und leuchtete in das Zimmer&period; Ihr Blick glitt prüfend durch dasselbe&comma; es war nichts Verdächtiges zu sehen&period; Die Fenster waren geschlossen und Ilse schien fest zu schlafen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie hatte sich im Bett erhoben und that ganz erstaunt beim Anblick der Lehrerin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; was giebt es&quest;« fragte sie&period; »Warum ist der Glocke gezogen&quest; Ich habe mir so erschreckt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es soll hier jemand in das Fenster bei euch gestiegen sein&comma;« antwortete Fräulein Raimar&comma; die mit den übrigen Fräulein Güssow gefolgt war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie stockte der Atem vor Angst&period; Was sollte sie beginnen&quest; Die Wahrheit gestehen&quest; Unmöglich&excl; Es wäre zugleich Ilses und ihre Entlassung aus der Pension gewesen&period; Und lügen&quest; Sie wäre nicht dazu im stande gewesen&period; Entsetzt blickte sie die Vorsteherin an und gab keine Antwort&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Dieselbe deutete Nellies stummes Entsetzen anders und sah es für eine Folge des plötzlichen Schreckens an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; nun&comma;« beruhigte sie&comma; »du darfst dicht nicht weiter ängstigen&period; Orla und die Schwestern wollen durchaus einen lauten Schrei gehört haben und Orla behauptet fest&comma; es sei ein Gespenst vor ihrem Fenster vorbeigeflogen und hier in eurem Zimmer verschwunden&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; eine Gespenst&excl; Wie furchtbar&excl;« wiederholten Nellies zitternde Lippen und ihr blasses Gesicht – die Angst&comma; die sich in ihren Zügen malte&comma; erweckten Mitleid in Fräulein Raimars Herzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Beruhige dich nur&comma;« sagte sie&comma; »die Mädchen werden geträumt haben&period; Das ganze Haus haben sie in Aufruhr gebracht&period; – Ich denke&comma; wir legen uns wieder nieder&comma;« wandte sie sich zu Fräulein Güssow&comma; »es ist das beste Mittel&comma; die aufgeregten Gemüter zur Ruhe zu bringen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Schon im Herausgehen begriffen&comma; fiel ihr die schlafende Ilse ein&period; Sie trat an das Bett derselben und beugte sich leicht darüber&period; »Ist denn Ilse gar nicht erwacht von dem Spektakel&quest;« fragte sie erstaunt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit Todesangst verfolgte Nellie jede Bewegung der Vorsteherin&period; Wenn sie sich ein wenig zur Seite wandte&comma; wenn ihr Blick das Fußende des Bettes streifte – dann waren sie verloren&period; Unter dem Deckbette – o Entsetzen&excl; sah eine Spitze von Ilses fürchterlichem Stiefel vor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie hat immer ein so fester Schlaf&comma;« brachte Nellie mühsam hervor und plötzlich – im Augenblicke der höchsten Not kehrte ihre Geistesgegenwart zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte&comma; bitte&comma; Fräulein Güssow&comma;« sagte sie und erhob flehend die Hände&comma; »sehen Sie unter meines Bett&comma; ob keine Gespenst daliegt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sofort lenkte sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf Nellie und die Angeredete nahm wirklich das Licht und leuchtete unter das Bett&period; Fräulein Raimar schüttelte unwillig den Kopf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sei nicht kindisch&comma; Nellie&comma;« verwies sie dieselbe&comma; »du wirst in deinem Alter doch wahrlich nicht mehr an Spukgeschichten glauben&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Miß Lead&comma; die bis dahin mit den Pensionärinnen vor der äußeren Thür gestanden&comma; trat zu ihrer Landsmännin und schalt sie wegen ihrer Furchtsamkeit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Kaum hatte Nellie die sonderbar Gekleidete erblickt&comma; als sie in ein lautes Gelächter ausbrach&period; »O&comma; Miß Lead&excl;« rief sie aus&period; »Sie haben die Aussicht wie eine Räuberhauptmann&excl; Seien Sie nicht böse&comma; aber ich muß lachen&excl;« Und die übrigen Mädchen stimmten fröhlich ein in das Gelächter&comma; sie hatten bis jetzt nicht auf die englische Lehrerin geachtet&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Miß Lead wurde hochrot vor Aerger&comma; und die Vorsteherin gab Nellie einen ernsten Verweis über ihr unartiges Benehmen&period; Es wurde darüber die Gespenstergeschichte vergessen und Ilse nicht weiter beachtet&period; Oder doch&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssow entfernte sich&comma; mit dem Lichte in der Hand&comma; sehr schnell aus der Thür – hatte sie vielleicht die unselige Stiefelspitze entdeckt&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wir wollen Ilses Ruhe nicht stören&comma;« sagte sie&comma; »warum soll die Aermste auch noch ermuntert werden&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie haben recht&comma; wir wollen sie nicht stören&period; Aber sie hat einen wunderbar festen Schlaf&period; Nun geht zur Ruhe&comma; Kinder&period; Melanies Gespenst war sicherlich nichts weiter&comma; als eine Katze&comma; die sich im Baume einen Vogel gefangen hat&period; Ihr könnt ganz ohne Sorge sein&comma; zum zweitenmal wird es nicht wiederkehren&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Damit hatte der nächtliche Spuk sein Ende erreicht&period; In kurzer Zeit lag alles wieder im tiefen Schlafe&period; Melanie hatte die Lampe brennen lassen&comma; um keinen Preis würde sie im Dunklen geblieben sein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als Nellie sich vollkommen überzeugt hatte&comma; daß alles wieder still im Hause war&comma; da kehrte mit dem Gefühle der Sicherheit auch ihre frohe Laune wieder&period; Sie suchte die Aepfel unter der Bettdecke hervor und fing an&comma; gemütlich zu essen&comma; als ob nichts vorgefallen wäre&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was machst du denn&quest;« fragte Ilse&comma; als sie das knirschende Geräusch hörte&period; Sie hatte bis jetzt noch nicht gewagt&comma; sich zu rühren&comma; und lag wie im Schweiße gebadet da&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich speise Aepfel&comma;« entgegnete Nellie sorglos&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber&comma; Nellie&comma; wie kannst du das nur&excl;« rief Ilse ganz entrüstet&period; »Ich zittre noch an allen Gliedern&comma; mein Herz schlägt wie ein Hammer – und du kannst essen&excl; Wirf die Aepfel fort – sie gehören ja gar nicht uns&period; Ach&comma; Nellie&comma; ich ärgere mich über meinen dummen Streich&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O was&excl;« sagte Nellie ruhig weiter essend&comma; »man muß thun&comma; als ob man zu Haus ist&excl; Gräm’ dir nicht mit unnütze Gedanke&comma; zieh’ dir lieber aus und pack’ deine Sache fort in deine Koffer&period; Du kannst ruhig schlafen&comma; mein Darling&comma; morgen weiß kein’ Seel’ von unser lustiges Abenteuer und du wirst sehr klug sein&comma; liebe Ilschen&comma; und schweigen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse ging heute nicht auf Nellies scherzenden Ton ein&semi; der Gedanke&comma; die Vorsteherin hintergangen zu haben&comma; drückte sie schwer&period; Schweigend entkleidete sie sich und verschloß ihre Sachen sorgfältig in den Koffer&period; Dann legte sie sich nieder&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Schlaf aber wollte nicht kommen&period; Nellies regelmäßige Atemzüge verrieten längst&comma; daß dieselbe sanft und süß eingeschlummert war&comma; als sie noch immer wachend im Bette lag&period; Der Gedanke&comma; wie nahe sie daran gewesen war&comma; entdeckt zu werden&comma; schreckte sie immer von neuem auf&period; Sobald sie im Begriffe war&comma; einzuschlafen&comma; fuhr sie angstvoll in die Höhe&period; Endlich schlief sie ein&comma; aber selbst im Traum quälten sie die schrecklichsten Bilder&period; Bald wurde sie verfolgt&comma; bald fiel sie vom Baume und zuletzt hatte sie sich in einen Vogel verwandelt und eine große Eule wollte sie fressen&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>Früh am andern Morgen&comma; als Fräulein Raimar ihren Spaziergang durch den Garten machte&comma; blieb sie vor dem Apfelbaume stehen&period; Sie schüttelte den Kopf und rief den Gärtner&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es müssen Diebe in diesem Baume gewesen sein&comma; Lange&comma;« sagte sie&comma; »sehen Sie nur das viele Laub und sogar einige abgebrochene Zweige darunter&period; Da liegen auch mehrere Aepfel&comma; die sie verloren haben mögen&period; Machen Sie doch&comma; solange das Obst noch nicht abgenommen ist&comma; öfters des Nachts eine Runde durch den Garten&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ist mir ein Rätsel&comma; wie sie hereingekommen sind&comma;« bemerkte der Gärtner kopfschüttelnd&comma; »die Gartenpforte war fest verschlossen&period; Sie müssen geradezu über die Mauer geklettert sein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wohl möglich&comma;« stimmte Fräulein Raimar ihm bei&comma; und im Weitergehen dachte sie&comma; daß Melanie doch im Rechte gewesen sei&period; Freilich ein Gespenst hatte sie nicht gesehen&comma; wohl aber einen Spitzbuben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Oben&comma; am offnen Fenster&comma; standen die beiden Mädchen und hatten jedes Wort vernommen&period; Ilse war es heiß und kalt dabei geworden und sie hatte sich wie eine arme Sünderin ertappt und beschämt gefühlt&period; Nellie dagegen lachte so recht vergnügt in sich hinein und nahm alles wie einen köstlichen Scherz hin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist eine spaßige Sach’&comma;« sagte sie übermütig&comma; »ich kann mir totlachen&excl; Wenn sie wüßte&comma; daß die böse Spitzbuben mit sie unter eine Dach wohnen&period; – Wie würde sie sich staunen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse hielt ihr den Mund zu&period; »Du darfst nicht darüber lachen&comma; Nellie&comma;« gebot sie entschieden&comma; »ich schäme mich so sehr&excl; Spitzbuben hat uns Fräulein Raimar genannt&comma; und das sind wir auch&period; Ich hatte gar nicht daran gedacht&comma; und das war recht dumm von mir&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wer wird so strenge richten&comma; kleine Weisheit&comma;« tröstete Nellie&period; »Was man in der Mund steckt&comma; ist kein Diebstahl&comma; merken Sie sich das&excl; Fräulein Raimar bekommt auch so große Kostgeld&comma; da bezahlen wir die paar lumpige Apfel alle mit&period; – Komm&comma; gieb mir ein Kuß und sieh nicht so trübe aus&comma; du klein Spitzbube&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Mit Nellie war schwer streiten&period; Sie widerlegte so harmlos und sah so schelmisch dabei aus&comma; daß Ilse&comma; wenn sie auch nicht überzeugt wurde&comma; sich wenigstens nicht mehr so hart anklagte&period; Aber auf einem bestand sie&period; Nellie mußte ihr die Hand darauf geben&comma; daß niemals wieder ein ähnlicher Streich von ihnen ausgeführt werden solle&period; – –<&sol;p>

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