Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Der Trotzkopf
(Emmy von Rhoden, 1885, empfohlenes Alter: 10 - 12 Jahre)

Kapitel 7

<p>Die Tage wurden kürzer und kürzer&period; Der Oktoberwind fuhr sausend durch die Bäume und trieb sein lustiges Spiel mit den trocknen&comma; gelben Blättern&period; Oede und verlassen lag der Garten des Instituts&comma; denn der schöne Aufenthalt im Freien hatte so ziemlich ein Ende&comma; die Mädchen waren mehr und mehr auf die Zimmer angewiesen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In den Wochentagen empfanden sie das kaum&comma; aber an den Sonntagnachmittagen&comma; die sie gewohnt waren&comma; im Garten zu verleben&comma; da fühlten sie sich doppelt eingeengt&period; In den Zimmern war es so dumpf&comma; so langweilig&semi; so war Ilses Ansicht&period; Man konnte doch nicht immer Briefe schreiben&comma; oder nähen&period; Sich die Zeit verkürzen mit Romanschreiben&comma; das konnte nur Flora&comma; die denn auch den innigen Wunsch hatte&comma; die Sonntagnachmittage möchten ewig dauern&period;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;010&period;jpg&quest;m&equals;1382217280&" alt&equals;"" width&equals;"441" height&equals;"700"><&sol;p>&NewLine;<p>»Ich komme heute auf euer Zimmer&comma;« sagte sie eines Sonntagmorgens zu den Freundinnen&period; »Ich werde euch meine neueste Novelle vorlesen&comma; natürlich nur den Anfang und den Schluß&comma; das andre habe ich noch nicht geschrieben&comma; ich mache es immer so&period; Ich sage euch&comma; ihr werdet entzückt sein&comma; Kinder&excl; Ich selbst fühle&comma; wie entzückend mein neuestes Werk mir gelungen ist&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie lächelte&period; »Wie ich mir auf dieser neue Werk freue&excl;« sprach sie neckend&period; »Immer nur die Anfangs und die Endes macht Flora&period; Die langweilige Mitte laßt sie aus&excl; O&comma; sie ist ein großer Dichter&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Flora war heute gar nicht empfindlich&comma; sie that&comma; als höre sie Nellies Neckereien nicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Also auf heute nachmittag&excl;« sagte sie und drückte Ilse die Hand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach der Kaffeestunde begleitete sie denn auch die beiden Mädchen auf ihr Zimmer&comma; und nachdem alle drei am Fenster Platz genommen hatten&comma; zog sie mit wichtiger Miene mehrere lose Blätter aus ihrer Kleidertasche hervor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Fang doch an dein’ Novelle&comma; warum besinnst du dir&quest;« fragte Nellie&comma; als Flora ein Blatt nach dem andern ansah und wieder beiseite legte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Entschuldigt einen Augenblick&comma;« entgegnete Flora&comma; »das ist mir alles so durcheinandergekommen&period; – Seite 5–10–11–3–« zählte sie&period; »Halt&excl; hier ist Blatt I&period; So&comma; nun will ich beginnen&excl; – Und Nellie&comma; thue mir den einzigen Gefallen&comma; unterbrich mich nicht fortwährend mit deinen witzigen Einfällen&comma; du schwächst wirklich den ganzen Eindruck damit&period; – Nun hört zu&period; Meine Novelle heißt&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"text-align&colon; center&semi;">Ein Schmerzensopfer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das Meer brauste und der Sturm tobte&period; – Weiße Möwen flogen krächzend darüber hinweg&period; – Der Mond lugte dann und wann zwischen zerrissenen Wolken hervor – traurig – einsam&period; – –<&sol;p>&NewLine;<p>Da schaukelt ein kleines Schiff auf den hohen Wogen und nähert sich dem Strande&period; Ein junges Mädchen sitzt allein darin&period; Leichtfüßig schwingt sie sich aus dem Schiff und setzt sich auf ein Felsstück&comma; das von den Wellen des Meeres umspült wird und hart am Strande liegt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Tief seufzt sie auf und ihre großen Vergißmeinnichtaugen füllen sich mit Thränen&period;<&sol;p>&NewLine;<p><img style&equals;"display&colon; block&semi; margin-left&colon; auto&semi; margin-right&colon; auto&semi;" src&equals;"&sol;Emmy-von-Rhoden&sol;Der-Trotzkopf&sol;011&period;jpg&quest;m&equals;1382219836&" alt&equals;"" width&equals;"700" height&equals;"518"><&sol;p>&NewLine;<p>›Was soll ich beginnen&quest;‹ flöten ihre Lippen und in ihrem süßen Blumenangesichte drückt sich ein schmerzliches Entsagen aus&period; ›Er liebt mich – und ich ihn&excl; Aber Aurora liebt ihn auch und sie ist meine geliebte Schwester&excl; Kann ich sie leiden sehen&quest; – Nein – nimmermehr&excl; Und sollte ich darüber an gebrochenem Herzen sterben&excl;‹<&sol;p>&NewLine;<p>Sie seufzte tief&period; ›O sterben&excl; Aber ich fühl’s&comma; ich werde nicht sterben – mein Herz wird nicht brechen&comma; – es wird weiter schlagen&comma; – – wenn es auch besser wäre&comma; das zähe Ding stände zur rechten Zeit für ewig still&excl;‹ – –«<&sol;p>&NewLine;<p>Hier machte Flora eine kleine Pause und Nellie konnte es nicht unterlassen&comma; sie zu unterbrechen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O wie furchtbar traurig&excl;« rief sie aus&comma; »das arme Blumenangesicht mit die Vergißmeinnichtsauge und das zähe Herz&excl; Wo ist sie denn hergekommen auf ihres kleines Schiff&comma; – so allein auf die brausende Meer&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und sie lachte mit ihren Schelmengrübchen so herzlich über Floras Unsinn&comma; daß ihr die Thränen in die Augen traten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie abscheulich von dir&comma; Nellie&comma;« fuhr Flora sehr erzürnt auf&comma; »daß du mich so unterbrichst&excl; Wenn nur ein Funken Poesie in deinem Busen schlummerte&comma; würdest du meine Werke verstehen&period; Aber du bist nüchtern vom Scheitel bis zur Sohle&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; o&excl;« lachte Nellie ausgelassen&comma; »o&comma; wie komisch bist du&comma; Flora&excl; Lies nur weiter dein ›Schmerzensopfer‹&comma; ich will nun artig hören und kein Laut mehr lachen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber Flora nahm schmollend ihre Blätter zusammen&period; Das heißt&comma; es war ihr nicht so recht Ernst damit&comma; denn als auch Ilse sich aufs Bitten legte&comma; sie möge doch nun auch den Schluß ihrer Novelle vorlesen&comma; da ließ sie sich erweichen&period; Schon hatte sie die Lippen geöffnet&comma; um fortzufahren&comma; da wurde sie unterbrochen durch Melanies hastigen Eintritt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Kinder&excl;« rief diese aufgeregt&comma; »es ist etwas furchtbar Interessantes passiert&excl; Denkt euch&comma; eben ist eine höchst elegante Dame vorgefahren mit einem reizend netten&comma; kleinen Mädchen&period; Fräulein Raimar empfing sie schon an der Thür und Orla hat deutlich gehört wie sie sagte&colon; ›Sie bringen das Kind selbst&comma; gnädige Frau&excl;‹ – Es bleibt also hier in der Pension&comma; und wir haben nichts davon gewußt&excl; Warum wird nun die ganze Geschichte so furchtbar geheimnisvoll gemacht&quest; Wir haben doch stets gewußt&comma; wenn eine neue Pensionärin ankam&excl; Ich finde das&comma; aufrichtig gesagt&comma; klassisch&excl;« –<&sol;p>&NewLine;<p>Die Mädchen horchten erstaunt auf und selbst Flora vergaß das Weiterlesen&period; Welch eine Bewandtnis hatte es mit dem kleinen Mädchen&comma; das so plötzlich hereingeschneit kam&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; welch eine klassische Geschichte&excl;« rief Nellie&period; »Kommt&comma; wir wollen gleich die fremde Dame mit ihres Kind uns ansehen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und sie eilten die Treppe hinunter mit einer Hast und Neugierde&comma; als ob ein neues Wunder aufgegangen sei&comma; Nellie den andern immer voran&comma; sie mußte die erste sein&comma; die dasselbe in Augenschein nahm&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war aber gar nichts zu sehen&comma; denn vorläufig verweilten die Fremden in Fräulein Raimars Zimmer&period; Indessen der Wagen hielt noch auf der Straße und Nellie schloß daraus&comma; daß die Dame sich nicht allzulange aufhalten werde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sehen müssen wir ihr&comma;« sagte Nellie&comma; »kommt&comma; wir stellen uns an der großen Glasthür im Speisesalon und warten&comma; bis sie kommt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Als sie dort eintraten&comma; fanden sie bereits die Thür belagert&period; Es gab noch andre Neugierige in der Pension&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ihr kommt zu spät&excl;« rief Grete&comma; die natürlich den besten Platz hatte&period; »Dahinten könnt ihr nichts sehen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie aber wußte sich zu helfen&period; Sie zog einen Stuhl heran und stellte sich darauf&period; Ilse natürlich kletterte ihr nach&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Geduld der Mädchen wurde auf eine harte Probe gestellt&comma; wohl eine gute halbe Stunde mußten sie noch warten&comma; bevor die Erwartete erschien&period; – Langsam und lebhaft sprechend ging sie mit der Vorsteherin an den Lauschenden vorüber&period; Zum Glück war es bereits dämmerig und die Damen waren so in der Unterhaltung begriffen&comma; daß sie nicht auf die vielen Mädchenköpfe hinter der Glasthür achteten&comma; Fräulein Raimar würde die kindische Neugierde ernstlich gerügt haben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; wie sie hübsch ist&excl;« bemerkte Nellie halblaut&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sei doch still&comma; Nellie&comma;« gebot Orla&comma; die das Ohr dicht an der Thür hielt&comma; um einige Worte zu erlauschen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was sagt sie&quest;« fragte Flora&comma; »ich glaube&comma; sie spricht französisch&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; italienisch&comma;« behauptete Melanie&comma; die nämlich seit einigen Tagen angefangen hatte&comma; diese Sprache zu treiben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie spricht deutsch&comma;« erklärte Grete&period; »Eben hat sie gesagt&colon; Meine kleine Lilli&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Gott bewahre&comma; was du gehört hast&excl;« widerstritt Orla&comma; »sie spricht englisch&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; eine Landsmann von mir&excl;« rief Nellie laut und erfreut&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ueber diese drollige Bemerkung kam Annemie in das Lachen&period; Orla wurde ganz böse darüber und hielt ihr den Mund zu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Fräulein Raimar ist ja noch im Korridor mit der Dame&comma;« flüsterte sie&comma; »wenn sie sich umsieht&comma; sind wir blamiert&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>In diesem Augenblicke kam von der andern Seite des Korridors Rosi Müller&period; Erstaunt sah sie auf die Belagerung der Glasthür&period; Die Mädchen mußten zurücktreten&comma; um sie einzulassen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie könnt ihr euch nur so kindisch benehmen&comma;« sagte sie sanft und vorwurfsvoll&period; »Ich begreife eure Neugierde nicht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist auch unsre ›Artige‹&comma;« meinte Grete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Rosi überhörte diese vorlaute Bemerkung&period; »Kommt&comma; setzen wir uns an die Tafel mit unsren Handarbeiten&comma;« fuhr sie fort&comma; als das Gas angezündet war&comma; »wir haben die Erzählung von Ottilie Wildermuth noch nicht zu Ende gehört&period; Willst du heute vorlesen&comma; Orla&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber es kam nicht dazu&period; Gerade als Orla beginnen wollte&comma; trat Fräulein Güssow mit der kleinen Lilli an der Hand ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sofort sprangen die Mädchen von ihren Plätzen auf und umringten dieselbe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sieh’&comma; Lilli&comma;« sagte die junge Lehrerin&comma; »nun kannst du gleich deine zukünftigen Freundinnen kennen lernen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Kleine schüttelte den Kopf&period; »Die Madel sind schon so groß&comma;« antwortete sie im süddeutschen Dialekt und ohne Befangenheit&comma; »die können doch nit meine Freundinnen sein&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie fand gleich einen Ausweg&comma; sie kniete sich zu dem Kinde nieder und sagte&colon; »Jetzt bin ich ein klein Madel wie du und du kannst mit mich spielen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Lilli lachte&period; »Nein&comma; du bist groß&comma;« sagte sie&comma; »aber du gefallst mir&period; Und du auch&comma;« wandte sie sich zu Ilse&comma; die neben Nellie stand&period; »Du hast halt so schöne Lockerl wie ich&period; Weißt&comma; du sollst meine Freundin sein&comma; mit dir will ich spielen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie ergriff Ilses Hand und sah dieselbe mit ihren großen Augen treuherzig an&period; Das junge Mädchen war ganz entzückt von der Zutraulichkeit der Kleinen und küßte und liebkoste sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Natürlich waren sämtliche Pensionärinnen ganz hingerissen von dem Kinde&comma; das wie eine zarte Elfe in ihrer Mitte stand&period; Lange blonde Locken fielen ihm über die Schulter herab und die schwarzen Augen mit den feingeschnittenen&comma; dunklen Augenbrauen darüber bildeten einen wunderbaren Kontrast zu denselben&period; Das gestickte&comma; sehr kurze weiße Kleidchen ließ Hals und Arme frei&period; Eine hochrote&comma; seidene Schärpe vervollständigte den höchst eleganten Anzug&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O du süßes&comma; entzückendes Geschöpfchen&excl;« »Du Engelsbild&excl; Kleine Fee&excl;« und mit ähnlichen überschwenglichen Ausdrücken überschütteten die Pensionärinnen das Kind&period; Fräulein Raimar war unbemerkt eingetreten und hörte diese Ausrufe kopfschüttelnd an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie trat in den Kreis und nahm Lilli bei der Hand&period; »Komm&comma;« sagte sie zu ihr&comma; »du sollst erst umgekleidet werden&period; Du möchtest dich erkälten in dem leichten Anzuge&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitt’ schön&comma; laß mich hier&comma; Fräulein&comma;« bat das Kind&period; »Ich hab’ gar nit kalt&period; Schau&comma; ich geh’ halt immer so&period; Die Madel sind so gut&comma; es gefallt mir hier&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar ließ sich nicht erbitten&period; »Komm nur&comma; Kind&comma;« sagte sie gütig&comma; »du wirst die Mädchen alle wiedersehen zum Abendessen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die abgeschlagene Bitte verstimmte Lilli nicht&period; »Laß Ilse mit mir gehen&comma; Fräulein&comma;« bat sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt&period; Als Ilse mit dem Kinde das Zimmer verlassen hatte&comma; wandte sich die Vorsteherin mit ernsten&comma; ermahnenden Worten an ihre Zöglinge&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich bitte euch&comma; in Zukunft Lilli nicht wieder so große Schmeicheleien in das Gesicht zu sagen&period; Wollt ihr sie eitel und oberflächlich machen&quest; Sie ist ein sehr schönes Kind und wird bereits manche Aeußerung hierüber gehört haben&comma; es giebt ja unvernünftige Leute genug&period; Wir wollen nicht in diesen Fehler verfallen&comma; und ich denke&comma; ihr werdet mir beistehen und in Zukunft vorsichtiger sein&period; – Lilli bleibt bei uns&period; Ich hatte noch nichts davon zu euch gesprochen&comma; weil ihr Eintritt in die Pension noch nicht fest beschlossen war&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wo wohnen Lillis Eltern&quest;« fragte Flora&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»In Wien&comma;« entgegnete das Fräulein&period; »Der Vater ist tot und die Mutter ist eine bedeutende Schauspielerin&period; Weil sie sich in ihrem Berufe wenig um die Erziehung ihres Kindes kümmern kann&comma; hat sie es in eine Pension gegeben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Lillis Mutter ist ein schönes Frau&comma;« bemerkte Nellie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wo hast du sie gesehen&quest;« fragte die Vorsteherin etwas erstaunt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; ich habe ihr vorbeigehen sehen&comma;« entgegnete Nellie leicht errötend&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie konnte leider nicht länger verweilen&comma;« wandte sich Fräulein Raimar an die junge Lehrerin&comma; »mit dem Schnellzuge fährt sie heute abend wieder fort&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die jungen Mädchen hatten die Damen dicht umringt und horchten auf jedes Wort&period; Sie hätten so »furchtbar« gern recht Ausführliches über Lillis Mutter erfahren&comma; die als »bedeutende Schauspielerin« ihre Gemüter lebhaft erregte und interessierte&period; Aber sie erfuhren nichts&period; Das Gespräch wurde abgebrochen und Fräulein Raimar führte die Wißbegierigen recht unsanft in die Wirklichkeit zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wer hat den Tisch zu besorgen&quest;« fragte sie&period; »Es ist Zeit&comma; daß wir den Thee einnehmen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse und Flora hatten heute dieses Amt&period; Letztere verließ sofort das Zimmer&comma; um kurze Zeit darauf mit Ilse zurückzukehren&period; Jede trug einen Stoß Teller&comma; welchen sie auf einen Seitentisch stellten&period; Sie legten die Tischtücher auf und fingen an&comma; die Tafel zu decken&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Vor wenigen Monaten hatte Ilse es für eine Unmöglichkeit gehalten&comma; daß sie je eine solche Beschäftigung thun würde&comma; – heute stand sie da in ihrer rosa Latzschürze und besorgte alles so geschickt und manierlich wie irgend eine andre Pensionärin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Manierlich und geschickt war sie freilich nicht immer gewesen und es hatte manche Mühe gekostet&comma; ehe sie es so weit gebracht&comma; bis sie überhaupt sich überwunden hatte&comma; »Dienstbotenarbeiten« zu verrichten&period; Die gutmütige Wirtschafterin konnte manches Lied über Ilses Widerspenstigkeit singen&comma; manche unartige Antwort hatte sie derselben zu verzeihen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einmal&comma; als sie einen Teller mit Butterschnitten fallen ließ und auch noch den Milchtopf umgestoßen hatte&comma; ermahnte sie die Wirtschafterin&comma; vorsichtiger zu sein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« hatte sie trotzig geantwortet&comma; »ich will nicht vorsichtiger sein&comma; solche Arbeit brauche ich nicht zu thun&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber sie nahm sich das nächste Mal doch mehr in acht&comma; es war am Ende kein sehr angenehmes Gefühl&comma; von allen ausgelacht zu werden&period; Auch bemerkte sie&comma; daß keine der Pensionärinnen&comma; selbst die ungraziöse Grete nicht&comma; sich so einfältig benahm wie sie&comma; die meisten verrichteten die kleinen häuslichen Geschäfte mit Anmut und besonders mit einem freundlichen Gesichte&comma; – sollte sie die einzig Dumme unter allen sein&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Lilli erhielt ihren Tischplatz zwischen der Vorsteherin und Ilse&period; Während der Mahlzeit belustigte sie die ganze Gesellschaft&period; Sie plauderte ganz unbefangen&comma; gar nicht schüchtern und blöde&period; »Das macht&comma;« bemerkte Flora&comma; »weil sie unter Künstlern groß geworden ist&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Du&comma; Fräulein&comma; gieb mir noch a Gipferl&comma; bitt’ schön&period; Ich hab’ halt so großen Hunger&comma;« rief sie ungeniert&period; Und als Fräulein Güssow fragte&comma; welches ihre Lieblingsgerichte seien&comma; meinte sie&colon; »Wianer Würstl und Sauerkraut&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber eine Mehlspeise wirst du doch lieber essen&comma;« meinte Fräulein Raimar&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O nein&excl; Mehlspeis’ eß i gar nit gern – aber a groß Stückerl Rindfleisch mit Gemüs – das mag i&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Alles lachte&period; Selbst die Vorsteherin stimmte ein&period; Wer hätte auch nicht mit Vergnügen dem Geplauder der Kleinen zuhören sollen&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit Lilli war ein andres Leben in die Pension gekommen&period; Alles drehte sich um sie&comma; jeder wollte ihr Freude machen&period; Und wenn die Mädchen auch vermieden&comma; ihr Schmeicheleien in das Gesicht zu sagen&comma; so waren doch alle bemüht&comma; ihr den Hof zu machen&period; Am glücklichsten waren sie&comma; wenn Lilli sich herabließ&comma; ein kleines Volkslied zu singen&period; Ich sage herabließ&comma; denn wenn sie nicht aufgelegt war&comma; ließ sie sich durch keine Bitten dazu bewegen&period; – Flora geriet jedesmal in Verzückung&comma; prophezeite Lilli eine große Zukunft und schwur darauf&comma; daß sie einst mit ihrer vollen&comma; weichen Stimme ein Stern erster Größe am Theaterhimmel sein werde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Voll und weich war die Stimme nicht&comma; Flora blickte einmal wieder durch ihre romantische Brille&comma; aber es klang weh und traurig&comma; wenn das Kind mit so ernsthafter Miene dastand und sang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie ist furchtbar süß&excl;« lispelte Melanie&comma; als Lilli zum erstenmal ›Kommt a Vogerl geflogen‹ vortrug&period; »Sieh nur&comma; Flora&comma; wie melancholisch sie die Augen in die Ferne richtet&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; melancholisch&comma;« wiederholte Flora langsam und pathetisch&comma; »du hast recht&period; Weißt du&comma; Melanie&comma; es liegt so etwas Geheimnisvolles – Traumverlorenes in ihren samtnen&comma; dunklen Mignonaugen&comma; so etwas&comma; das sagen möchte&colon; ›Du fade Welt&comma; ich passe nicht für dich&period;‹«<&sol;p>&NewLine;<p>»Denn es kümmert sich ka Katzerl – ka Hunderl um mi&comma;« schloß Lilli ihr Liedchen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O wie reizend&excl;« rief Nellie und klatschte in die Hände&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie kann man diese Worte reizend finden&excl;« rief Flora entrüstet&period; »Traurig – düster – das ist der rechte Ausdruck dafür&period; Ein einsames&comma; verlassenes Herz hat sie empfunden und welche Folterqualen mag es dabei erlitten haben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; das Herz ist eine sehr zähe Ding&comma; und doch wär’ es manchmal besser&comma;« deklamierte Nellie mit komischem Pathos&comma; aber sie kam nicht weiter&period; Flora hielt ihr den Mund zu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist schändlich – ganz abscheulich&excl;« rief sie&comma; »nie&comma; nie wieder weihe ich dich in meine geheimsten Gedanken ein&excl; Wie kannst du mein Vertrauen so mißbrauchen&quest;«<&sol;p>

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