Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Der Trotzkopf
(Emmy von Rhoden, 1885, empfohlenes Alter: 10 - 12 Jahre)

Kapitel 9

<p>Nun war alles wieder im alten Geleise&excl; Der Unterricht hatte begonnen und Miß Lead war wenige Tage nach Neujahr von ihrer überseeischen Reise zurückgekehrt&period; Sie hatte sechs junge Engländerinnen mitgebracht&comma; die kein Wort Deutsch verstanden und sehr viel Heimweh hatten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie versuchte es&comma; sie zu trösten&comma; aber sie verschlossen sich starr gegen jedes Trosteswort&comma; sie fühlten sich unglücklich im fremden Lande&period; Sie wollten nicht Deutsch lernen&comma; sie haßten diese Sprache und die Menschen&comma; erklärten sie&period; Lange Jammerbriefe sandten sie in die Heimat&comma; in denen sie die Angehörigen himmelhoch baten&comma; sie wieder zurückkehren zu lassen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war diese Art und Weise nichts Auffallendes und nichts Neues&period; Fräulein Raimar legte keinen Wert darauf&comma; ähnliche Erfahrungen machte sie stets mit den Engländerinnen&period; Es war schon vorgekommen&comma; daß diese oder jene sich vornahm&comma; zu verhungern&comma; und Speise und Trank hartnäckig verweigerte&period; Vor Hunger gestorben war indes noch keine&comma; wenn der Magen zu energisch sein Recht verlangte&comma; entsagten sie dem Hungertode&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich mag meine Landsmänner gar nicht sehr&excl;« bemerkte Nellie eines Tages zu Ilse&period; »Die Deutsche liebe ich mehr&period; Ich will nicht zurück in meine Heimat&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Landsmänner&excl;« wiederholte Ilse&period; »Gleich sage einmal&comma; wie es richtig heißt&period; Neulich habe ich es dir erst gesagt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O ja&comma; ich weiß&comma; Landsfrauen heißt es&comma;« verbesserte sich Nellie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist klassisch&excl;« lachte Ilse laut&period; »Lands–männ–innen heißt es&period; Sag einmal nach – so – und nun vergiß dieses Wort nicht wieder&comma; du liebe&comma; englische Deutsche&excl; Du bist auch ganz anders wie deine Landsmänninnen&comma; lange nicht so steif&comma; so zurückhaltend und so hochmütig wie die&excl; Sie sehen immer auf uns herab&comma; als ob sie sagen wollten&colon; ›Gott sei Dank&comma; daß ich keine Deutsche bin&excl;‹«<&sol;p>&NewLine;<p>»O nein&excl;« wehrte sich Nellie&comma; in der plötzlich der Nationalstolz wach wurde&comma; »so schlimm darfst du nicht sagen&excl; Es hat den Schein&comma; daß sie hochmütig sind&comma; weil sie dir nicht verstehen&comma; sie macht ein fremdes Gesicht&comma; weiter nix&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie sind hochmütig&comma; Nellie&excl;« neckte Ilse&period; »Entschuldige deine langweiligen Engländerinnen nicht&period; Eben sagtest du selbst&comma; daß du sie nicht leiden möchtest&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das gestand Nellie zu&period; Sie meinte aber&comma; sie selbst könne so sprechen&comma; ein gleiches Urteil aus einem andern Munde könne und dürfe sie nicht anhören&period; Sie wolle es auch nicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist doch aber ganz wunderlich&comma; Nellie&comma;« lachte Ilse&comma; »Doktor Althoff würde sagen&colon; ›Sie haben verdrehte Ansichten&comma; Miß Nellie&period;‹«<&sol;p>&NewLine;<p>»O nein&comma;« entgegnete Nellie eifrig und leicht errötend&comma; »Doktor Althoff würde mir verstehn&period; Er weiß&comma; wie es in mein Herz aussieht&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das kam Ilse äußerst komisch vor und sie neckte die Freundin damit sehr&period; »Er hätte viel zu thun&comma; wenn er in alle eure Herzen blicken wollte&excl;« rief sie lachend&comma; »und wenn er sich wirklich einmal die Mühe gäbe&comma; so würde er euch schön verhöhnen&comma; dich und alle die andern&comma; die ihr für ihn schwärmt&period;« –<&sol;p>&NewLine;<p>Ilse lernte jetzt mit rechtem Eifer und schon längst war ihr das Arbeiten keine Last mehr&period; Das Zeichnen machte ihr besondre Freude&comma; und seitdem der Papa so glückselig über die ihm geschenkte Rose geschrieben&comma; strebte sie darnach&comma; auch das zu erreichen&comma; was derselbe in seiner blinden Liebe zu ihr schon erreicht sah&period; Er hielt sie bereits für eine Künstlerin und mit Stolz hatte er ihr geschrieben&comma; daß er die Rose habe einrahmen lassen und daß sie nun über seinem Schreibtisch hänge&period; Ilse war gar nicht damit einverstanden&comma; sie wußte ja genau&comma; wie der zärtliche Papa jeden Besuch&comma; der zu ihm kam&comma; zu ihrem schwachen Erstlingswerk führen werde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auch die Mama war hocherfreut über Ilses Weihnachtsgeschenke gewesen&period; Sie gaben ihr ein glänzendes Zeugnis von deren Fortschritten und der Ausdauer&comma; die der Wildfang bis dahin nicht gekannt hatte&period; Die größte Freude indes hatte sie an Ilses Dankesbrief gehabt&period; Es war das erste Mal&comma; daß sie in so herzlich warmer Weise das Wort an sie richtete und Frau Annes Augen füllten sich mit Thränen freudiger Rührung&period; Sie fühlte jetzt bestimmt&comma; daß die Zukunft ihr Ilses volle Liebe bringen werde&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>Die längst ersehnten Tanzstunden hatten bereits seit vierzehn Tagen begonnen und brachten etwas Abwechselung in das gleichmäßige Pensionsleben&period; Zweimal in der Woche kam von sechs bis acht Uhr abends der Tanzlehrer mit einer Geige und unterrichtete im großen Saale&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nicht alle Zöglinge nahmen teil daran&period; Die kleineren Mädchen nicht und auch die Engländerinnen schlossen sich aus&comma; sie verstanden noch zu wenig Deutsch&comma; auch konnten sie vorläufig keinen Geschmack an den einförmigen Pas finden&period; Melanie konnte das freilich auch nicht und fand bis jetzt die Tanzstunde ›furchtbar öde‹&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ist ein furchtbar langweiliges Vergnügen&comma; diese Hüpferei&comma;« äußerte sie auf einem Spaziergange zu Flora&comma; »wozu diese Pas – diese Verbeugungen&quest; Wir können doch alle schon tanzen&comma; und wie wir uns zu verbeugen haben – und grüßen müssen&comma; das wissen wir doch erst recht&period; Wir sind doch erwachsene Mädchen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ach&excl;« seufzte Flora und ein schwärmerischer Blick glitt seitwärts über den spiegelglatten Teich – zu den schlittschuhlaufenden Gymnasiasten hinüber – »ach&excl; das möchte noch alles gehen&period; Das Fürchterlichste ist doch&comma; daß wir zwei volle Monate ohne Herren tanzen müssen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie furchtbar öde&excl;« Melanie rief es ordentlich entrüstet&period; »Man behandelt uns wahrhaftig mit puritanischer Strenge&excl; Ohne – Herren&excl; Es ist kaum zu glauben&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; mit puritanischer Strenge&excl;« wiederholte Flora&comma; der dies Wort außerordentlich gefiel&period; »Ich begreife nicht&comma; warum uns der Verkehr mit den Herren so lange entzogen wird&period; Man behandelt uns eben wie Kinder&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die ›furchtbar öden‹ Monate gingen indessen auch zu Ende und Fräulein Raimar schickte Einladungen aus an junge&comma; wohlerzogene Herren&comma; die das Gymnasium besuchten&comma; und ersuchte sie&comma; die letzten vier Wochen an dem Tanzunterrichte teilzunehmen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit welcher Freude diese Einladungen begrüßt wurden&comma; brauche ich nicht zu sagen&period; Die jungen Leute schätzten es sich zur besonderen Ehre&comma; zu den Tanzabenden in der Pension zugezogen zu werden&period; Diesmal brannten sie besonders darauf&comma; weil sie behaupteten&comma; daß noch niemals so hübsche Mädchen in dem Institute gewesen seien&period; Sie kannten dieselben von Ansehen sehr genau&comma; denn&comma; wenn irgend möglich&comma; suchten sie ihnen auf den Spaziergängen zu begegnen&period; Nun sollten sie mit ihnen tanzen&comma; sich mit ihnen unterhalten dürfen&comma; es war zu famos&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ihr werdet heute abend zum ersten Male mit Herren tanzen&comma; Kinder&comma;« kündigte Fräulein Raimar eines Mittwochs bei der Mittagstafel an&period; Und als sie bemerkte&comma; wie vergnügt die meisten diese frohe Botschaft entgegennahmen&comma; fügte sie hinzu&colon; »Ich hoffe&comma; daß ihr euch nicht zu lebhaft mit den jungen Leuten unterhalten werdet&excl; Vergeßt nicht&comma; daß dieselben nur des Tanzes&comma; nicht der Unterhaltung wegen da sind&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Annemie kamen diese Ermahnungen so komisch vor&comma; daß sie zu kichern anfing&period; Ein strafender Blick traf sie dafür&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Für dich sind meine Worte besonders gesprochen&comma; Annemie&comma;« nahm die Vorsteherin wieder das Wort&comma; »ich fürchte&comma; du wirst dich durch dein albernes Lachen auffallend machen&comma; hüte dich davor&period; Und dich&comma; Grete&comma; ermahne ich ernstlich&comma; nicht so viel zu schwatzen&period; Ueberlege erst&comma; was du sagen willst&comma; damit kein Unsinn herauskommt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>So und in ähnlicher Weise warnte und ermahnte sie ihre jungen Zöglinge&comma; die in ihrer erwartungsvollen Aufregung heute nur mit halbem Ohre hörten&comma; was ihnen so eindringlich vorgestellt wurde&period; Viel wichtiger erschien ihnen die Frage&colon; »Was werdet ihr heute abend anziehen&quest; Womit werdet ihr euch schmücken&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie hatten auch kaum das Speisezimmer verlassen&comma; als sie die Treppen hinaufstürmten&comma; um in Orlas und der Schwestern Zimmer eine große Beratung zu halten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie holte einen großen Pappkasten hervor und fing an&comma; Blumen und Bänder herauszukramen&period; Sie hatte sich vor den Spiegel gestellt und hielt eine Rose in ihr schönes aschblondes Haar&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie findet ihr diese Rose&quest;« fragte sie&period; »Bitte&comma; seht doch einmal&excl; Kümmert sich denn kein Mensch um mich&quest;« rief sie laut und ungeduldig den Durcheinanderschwatzenden zu und stampfte sogar etwas mit dem Fuße auf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie steht dir gut&comma; Melanie&comma;« antwortete Rosi&comma; die eben erst eingetreten war und die letzten Worte hörte&comma; an ihre eigene Toilette dachte sie nicht&period; »Das dunkle Rot in deinem blonden Haar sieht prächtig aus&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Du hast nicht viel Geschmack&comma; liebste Rosi&period; Nimm mir nicht übel&comma; daß ich es dir frei heraussage&comma;« fertigte Melanie die Aermste ab&period; »Orla&comma; bitte&comma; gieb du dein Urteil ab&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Russin galt als die eleganteste&comma; deren Toilette stets am geschmackvollsten war&period; Mit Kennermiene musterte sie denn auch Melanie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die dunkle Rose ist zu grell&comma;« entschied sie&comma; »für dein Haar paßt eine blaßrote besser&period; Uebrigens&comma; was willst du denn anziehen&quest; Das ist doch am Ende die Hauptsache und darnach mußt du die Blumen wählen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Mein blaues Batistkleid&comma; denke ich&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Dein bestes Kleid&excl;« rief die vorlaute Grete erstaunt&period; »Gut&comma; dann ziehe ich mein geblümtes an&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Gerade wie die Verhandlungen am lautesten waren&comma; öffnete sich die Thür und Fräulein Güssow trat ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Fräulein Raimar läßt euch sagen&comma; ihr möchtet heute abend eure Sonntagskleider tragen&comma;« verkündete sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&excl; &period;&period;&period;« Langgedehnt und unzufrieden kam es über Melanies Lippen&period; »O&comma; Fräulein Güssow&comma; die alten&comma; dunklen Kleider&excl; Die hellen sind so viel besser&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber es blieb bei den Wollkleidern&period; Gegen das Machtgebot der Vorsteherin galt kein Widerstreben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Bevor sie in den Tanzsaal hinuntergingen&comma; fanden sich die Mädchen noch einmal bei Orla ein&period; Diese hielt erst eine allgemeine Musterung über die Toiletten&comma; besserte hier und dort und verstand es&comma; durch eine Kleinigkeit dem einfachsten Anzuge einen netten Anstrich zu geben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Melanie hatte sich nach besten Kräften elegant herausgeputzt&period; Ein weißes Spitzenfichu schmiegte sich in weichen Falten um ihren Hals&comma; und eine blaßrote Rose&comma; seitwärts an demselben befestigt&comma; kleidete sie ganz allerliebst&period; Sie war tadellos und sah trotz des einfachen braunen Kleides sehr geputzt aus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>An Gretes ungeschickter Figur war nicht viel zu ändern&period; Lange Arme&comma; große Füße&comma; schlechte Haltung und dicke Taille&comma; das waren Dinge&comma; die leider nicht zu verbergen waren&comma; auch trugen die ungraziösen Bewegungen durchaus nicht zur Verschönerung bei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Für dich ist die dunkle Tracht ganz vorteilhaft&comma;« meinte Orla&comma; indem sie eine dicke Korallenkette aus ihrem Schmuckkasten nahm und sie dem darüber hocherfreuten Gretchen um den Hals schlang&period; »So&comma; die will ich dir leihen&comma; damit du nicht zu einfach aussiehst&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Flora unterwarf sich keiner Musterung&comma; sie fand es unnütz&comma; da ihr Geschmack weit eigenartiger sei als Orlas&period; Sie hatte mit endloser Mühe eine griechische Haartour zurechtgebracht&period; Im Nacken trug sie ihr Haar im Knoten&comma; mit einigen herausfallenden Locken&comma; vorn hatte sie dasselbe mit einem schwarzen Sammetbande&comma; das mit weißen Perlen benäht war&comma; dreimal abgebunden&period; In die Stirn fielen gekräuselte Fransen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie fand sich entzückend&comma; diese Haartour söhnte sie sogar mit dem grünen Wollkleide aus&comma; in dem sie lang und schlank wie eine wirkliche Hopfenstange aussah&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Rosi hatte sich nicht besonders geschmückt&period; Ihr schwarzes Kaschmirkleid war unverändert geblieben&period; Eine weiße Spitze am Halsausschnitt&comma; zusammengehalten von einer Spitzenschleife&comma; die einen silbernen Pfeil trug&period; So ging sie Sonntags gekleidet und Fräulein Raimars Vorschrift lautete&comma; daß sie sich heute sonntäglich kleiden sollten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O Gott&comma; wie hausbacken siehst du aus&comma; Rosi&excl; Als ob du in die Kirche gehen wolltest&comma; so ernst und feierlich&excl;« rief Orla&period; »Hast du denn nicht ein farbiges Band anstatt der weißen Schleife&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie hatte keins und jetzt half Melanie aus&period; Bereitwillig lieh sie Rosi eine ganz neue rosa Atlasschleife und freute sich herzlich&comma; wie furchtbar nett sie derselben stand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Betrachte dich nur einmal&comma;« sagte sie und hielt ihr den Handspiegel vor die Augen&period; »Nun&comma; was meinst du dazu&quest; Nicht wahr&comma; jetzt siehst du nicht mehr aus wie ›Gottesfurcht vom Lande‹&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Die Schleife gefällt mir wohl gut&comma;« meinte Rosi&comma; »aber es ist mir ein peinliches Gefühl&comma; geliehene Sachen zu tragen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O sancta simplicitas&excl;« rief die geniale Flora&period; »Kind&comma; du gehst in deiner Pedanterie wirklich zu weit&excl; Unter Freundinnen herrscht Gleichheit&comma; da kann von geliehenen Sachen keine Rede sein&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und um dies Wort gleichsam zur That zu machen&comma; griff sie in Melanies offenstehenden Blumenkasten&comma; nahm eine feuerfarbene Nelke heraus und befestigte dieselbe an ihrem Gürtel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du erlaubst doch&comma; Melanie&quest;« fragte sie so nebenhin&comma; »die rote Farbe steht mir wirklich brillant&excl;« und mit einem wohlgefälligen Blick betrachtete sie sich in dem Spiegel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nellie und Ilse&comma; wo bleiben sie nur&quest;« fragte Orla&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eben traten sie ein&period; Beide waren geschmackvoll gekleidet&period; Nellie im schottischen Kleide&comma; am Hals und den Aermeln mit echten Spitzen garniert&comma; sah graziös und vorteilhaft aus&comma; ebenfalls Ilse&comma; die über ihr blaues Kleid einen breiten Spitzenkragen gelegt hatte&period; Darüber trug sie die Korallenkette&comma; mit welcher auch Nellie sich geschmückt hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Schnell noch diese Margueriten in dein Haar&excl;« rief Melanie und machte Miene&comma; dieselbe Ilse in ihren Locken zu befestigen&period; Aber die wehrte es ab&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Geh mit deinen Blumen&excl;« entgegnete sie abwehrend&comma; »ich mag die toten&comma; nachgemachten Dinger nicht leiden&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie du willst&comma;« sagte Melanie etwas schnippisch und warf die verschmähten Gänseblümchen wieder in den Kasten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Mädchen verließen das Zimmer und stiegen die Treppe hinunter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Orla ist doch die eleganteste von uns&comma;« bemerkte Melanie nicht ohne einen Anflug von Neid zu Nellie&comma; und musterte die vor ihr Gehende&comma; die allerdings in der blauen Samttaille und einem gleichfarbig seidenen Rocke höchst vornehm erschien&period; »Freilich in Samt und Seide kleiden mich meine Eltern nicht&comma; so reich sind wir nicht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Thut nix&excl;« erwiderte Nellie&comma; »man muß mit weniges auch zufrieden sein&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte&comma; bitte – wartet einen Augenblick&excl;« rief es plötzlich hinter ihnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Annemie war es&comma; die in voller Eile allen nachgelaufen kam&period; »Ich bin noch nicht ganz fertig&comma;« fuhr sie atemlos fort&comma; »ich kann aber nichts dafür&excl; Als ich mein Kleid überzog&comma; riß ein Band irgendwo&comma; – nun hängt der eine Zipfel vom Ueberwurfe bis auf die Erde&period; Bitte&comma; seht einmal nach&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Alle waren stehen geblieben und betrachteten Annemie&period; Nellie&comma; praktisch wie immer&comma; untersuchte gleich&comma; wo der Schaden saß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Komm her&comma;« sagte sie&comma; »ich werde dir ausbessern&period; Aber ein Nadel und Faden muß ich haben&comma; dann nähe ich dir gleich mit weniger Stich in Ordnung&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sei nicht umständlich&comma;« meinte Flora&period; »Hier hast du eine Stecknadel&comma; damit wirst du es ebenso gut machen können&period; Wie manchmal habe ich mir schon ein Band oder einen kleinen Riß schnell mit der Nadel gesteckt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber davon wollte die Engländerin nichts wissen&period; Sie nahm Annemie mit in ihr Zimmer und nähte die wenigen Stiche&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte&comma; liebe&comma; gute Nellie&comma; mir ist hier am Aermel ein Endchen Spitze abgerissen&comma; willst du mir nicht die gleich annähen&quest; Du bist auch ein Engel&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie brachte auch diesen Schaden in Ordnung&comma; und als sie fertig war&comma; zupfte sie an Annemie hier und dort zurecht&comma; nichts saß an der kleinen&comma; runden Lachtaube&comma; wie es sitzen mußte&period; Die Handschuhe waren nicht zugeknöpft&comma; die Halskrause saß schief und an dem halbhohen Lackschuh fehlte ein Knöpfchen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist aber ein sehr unordentlich’ Mädchen&comma; liebes Lachtaube&comma;« schalt Nellie&comma; »aber ich kann dich nicht helfen&comma; du mußt mit deiner abgerissener Knopf gehen&period; Es schlägt sechs&comma; wir müssen pünktlich erscheinen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die übrigen Mädchen hatten an der Treppe gewartet&comma; jetzt gingen alle zusammen hinunter und an der Thür des Saales blieben sie stehen&comma; sie hatten mit einem Male keinen Mut&comma; hineinzugehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich höre sprechen&comma;« sagte Orla gedämpft&comma; »ich glaube&comma; die Herren sind schon da&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie legte das Ohr an die Thür und horchte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wirklich&comma; sie sind da&excl;« bestätigte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Lass’ mich durchs Schlüsselloch sehen&comma; Orla&comma;« bat die neugierige Flora und schob die erstere leicht beiseite&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie beugte den Kopf&comma; als sie das Auge an die Thür legen wollte&comma; packte Grete der Uebermut&comma; so daß sie Flora einen Stoß gab und diese mit dem Haupte gegen die Thür flog&period; Das war ein Schreck&excl; Wie der Wind flogen alle bis an das andre Ende des Vorsaals&comma; – wenn Fräulein Raimar das Geräusch gehört hätte&excl; »Dann sind wir einfach furchtbar blamiert&comma;« erklärte Melanie und schalt Grete albern und ungezogen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du bist ein Tollpatsch&comma; Grete&comma; im höchsten Grade ungebildet&excl;« sagte Flora entrüstet&comma; und Annemie lachte&comma; daß ihr die hellen Thränen über die Wangen liefen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Sei mir nicht böse&comma; daß ich dich auslache&comma; Flora&comma;« sagte diese&comma; »aber ich kann nicht anders&period; Du sahest zu komisch aus und machtest ein so entsetztes Gesicht&comma; als du mit deinem griechisch frisierten Kopf gegen die Thür flogst&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Raimar hatte wirklich ein Klopfen an der Thür vernommen&comma; sie öffnete dieselbe&comma; und als sie die Mädchen stehen sah&comma; rief sie ihnen zu&comma; sich zu beeilen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das war ein kritischer Moment&period; Unbemerkt stießen sie sich untereinander an und stritten sich leise&comma; wer die erste sein solle&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Du mußt vorangehen&comma; Orla&comma; du bist die älteste&comma;« flüsterte Ilse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich bin die jüngste&comma; ich komme zuletzt&excl;« rief Grete&comma; die sonst immer mit ihrem Munde die erste war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Laß mich die letzte sein&comma; Grete&comma;« bat Annemie&comma; »ich habe mich noch nicht ausgelacht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Rosi war die verständige&comma; wie immer&period; »Komm&comma; Orla&comma;« sagte sie&comma; »wir dürfen Fräulein Raimar nicht warten lassen&period; Wir benehmen uns überhaupt höchst kindisch&comma; finde ich&period; An allem ist Gretes Albernheit schuld&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das gute Beispiel der beiden Aeltesten wirkte wohlthuend auf die übrigen&period; Sie nahmen sich zusammen und gingen ruhig und ernst in den Saal&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Meine Damen&comma; erlauben Sie&comma; daß ich Ihnen die Herren vorstelle&comma;« mit diesen Worten empfing sie der Tanzlehrer&period; Es folgten Verbeugungen von beiden Seiten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Flora schwamm in Seligkeit&comma; sie hatte unter den Herren einen Primaner erkannt&comma; für den sie bereits längst im Geheimen schwärmte&period; Erst kürzlich hatte sie ihn als Apoll in Jamben besungen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Güssow stand neben der Vorsteherin und hatte ihre Freude an den jungen Mädchenblüten&period; An Ilse hing ihr Auge am zärtlichsten&period; Wie reizend hatte sich ihr Liebling entfaltet&excl; Körperlich und seelisch&period; Wie viel gleichmäßiger war das stürmische Kind geworden&period; Wo war der böse Trotz geblieben&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie verglich Ilse mit den übrigen und fand&comma; daß sie nicht allein die hübscheste&comma; sondern auch weit natürlicher und unbefangener war&comma; als die meisten andern&period; Keine Spur von Koketterie äußerte sich in ihrem Wesen&comma; frei und fröhlich blickte sie mit den großen Kinderaugen in die Welt und schien die glückliche Frage auszusprechen&colon; »Liebe Welt&comma; bist du immer so schön&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Melanies Züge waren regelmäßiger&comma; aber längst nicht so unbewußt lieblich&comma; man merkte dem hübschen Mädchen an&comma; daß sie schon gar zu oft den Spiegel um seine Meinung befragte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Flora und Melanie standen beisammen und machten ihre Bemerkungen über die Herren&comma; zu denen sie verstohlen hinüber schielten&period; Natürlich gaben sie sich den Schein&comma; als ob sie sich gar nicht um dieselben kümmerten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Orla war aufrichtiger&period; Sie hatte den Klemmer auf die Nase gesetzt und betrachtete die Jünglinge ganz ungeniert&period; Später erhielt sie einen Tadel deswegen von der Vorsteherin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Grete und Annemie hatten sich in eine Fensternische gesetzt und kicherten und schwatzten das dummste Zeug&period; Sogar Nellie war nicht ganz frei von einer harmlosen Gefallsucht&period; Sie hatte sich so zu setzen gewußt&comma; daß ihr kleiner&comma; schmaler Fuß im Goldkäferstiefel wie absichtslos unter ihrem Kleide hervorsah&period; Rosi war natürlich weder kokett&comma; noch empfand sie die geringste Erregung&period; Ruhig und freundlich&comma; wie immer&comma; saß sie da&comma; und so tadellos gerade hielt sie sich&comma; daß sie auch in der Tanzstunde das Musterkind für die andern war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Anfangen&excl;« rief der Tanzlehrer und klatschte in die Hände&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und das Orchester&comma; das aus einem Klavier und einer Geige bestand&comma; begann&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wie herrlich klang die Musik den jungen&comma; unverwöhnten Ohren&comma; wie »furchtbar entzückend« fanden sie die Walzerklänge&period; –<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte die Herren&comma; sich zu engagieren&excl;« kommandierte der Tanzlehrer&comma; und wie von einem Zauberstabe berührt stürzten die tanzlustigen Jünglinge auf die Dame zu&comma; die sich ein jeder bereits still und verschwiegen als Ziel seiner Wünsche ausgesucht hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Vor der blendenden Melanie verbeugten sich zugleich drei Herren&period; Welch ein Triumph für ihr eitles Herz&excl; – Leider konnte sie nicht mit allen dreien auf einmal tanzen und mußte sich mit der Genugthuung begnügen&comma; daß alle Anwesende doch sicher diese Auszeichnung bemerkt hatten&period; – Alle wohl nicht&comma; aber Flora und Grete hatten sie bemerkt und mußten die schmerzliche Erfahrung machen&comma; daß die Verschmähten zu ihnen kamen&comma; um sie zu erlösen&period; Sie waren von all den jungen Damen die allein Uebriggebliebenen&period; Flora fühlte sich besonders tief gekränkt und mit neidischen Blicken folgte sie Ilse&comma; die eben mit »Apoll« an ihr vorüberwalzte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Recht lebhaft war die Unterhaltung am ersten Herrenabend nicht&period; Die Gegenwart der Vorsteherin&comma; ihre beobachtenden Blicke legten einigen Zwang auf&period; Nellie&comma; die sich sehr zusammennahm&comma; um ja keinen Sprachfehler zu machen&comma; war ganz besonders schweigsam&comma; und einige Male&comma; als sie angeredet wurde und sich recht gewählt ausdrücken wollte&comma; brachte sie die drolligsten Dinge zum Vorschein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ein junger Mann erzählte ihr&comma; daß er in einigen Jahren&comma; wenn er ausstudiert habe&comma; nach England gehen werde&period; »Werden Sie dort verständig &lpar;beständig&comma; meinte sie&rpar; sein&quest;« fragte sie&period; – Ein andrer fragte&comma; ob sie gern in Deutschland weile&period; »O ja&comma; ich bin ganz verliebt in der Deutsche&excl;« gab sie freudig zur Antwort&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber Nellie konnte nie mißverstanden werden&period; Ihre kindliche Naivetät nahm sofort alle Herzen für sie ein&period; Die jungen Herren waren denn auch sämtlich entzückt von der jungen Engländerin&comma; und da sie obenein sehr gut tanzte&comma; wurde sie bald zum allgemeinen Liebling erkoren&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Grete wurde ihre schweigsame Zurückhaltung äußerst sauer&comma; verschiedene Male fiel sie aus der Rolle&period; Einmal ertappte sie Orla&comma; die gerade hinter ihr stand&comma; auf einer argen Indiskretion&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie heißt die junge Dame mit den Locken&quest;« wurde sie von ihrem Tanzherrn gefragt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist Ilse Macket&comma;« gab Grete schnell zur Antwort&period; Und nun fing sie an&comma; ausführlich über dieselbe zu berichten&period; »Sie ist erst seit Juli hier&comma;« fuhr sie fort und der Mund ging ihr wie eine Plappermühle&comma; »ihr Vater brachte sie hierher&period; Sie ist nämlich weit her&comma; aus Pommern&comma; und&comma; denken Sie sich&comma; sie hatte ihren Hund mitgebracht und wollte ihn durchaus mit in die Pension nehmen&excl; Natürlich Fräulein Raimar erlaubte es ihr nicht&period; Ach&comma; und ungeschickt war sie&excl; Kein Mensch kann sich davon einen Begriff machen&period; Einmal hat sie einen ganzen Stoß Teller –«<&sol;p>&NewLine;<p>»Grete&comma;« unterbrach Orla ihren Redefluß&comma; »du verlierst eine Nadel&period; Tritt einen Augenblick mit mir zur Seite&comma; damit ich sie wieder befestige&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie ungezogen&comma; wie abscheulich von dir&excl;« schalt Orla&comma; indem sie sich scheinbar an Gretes Kragen zu schassen machte&period; »Warum blamierst du Ilse so&quest; – Du siehst den Herrn heute zum ersten Male und machst ihn sofort zum Mitwisser unsrer Pensionsgeheimnisse&excl; Möchtest du denn&comma; daß die arme Ilse verspottet würde&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Grete erschrak&period; Daran hatte sie gar nicht gedacht&excl; Die Schwatzhaftigkeit war wieder einmal mit ihr durchgegangen und hatte ihr einen bösen Streich gespielt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Höchst betrübt und niedergeschlagen trat sie wieder in die Reihe der Tanzenden&period; Sie faßte auch den festen Entschluß&comma; in Zukunft vorsichtiger zu sein&comma; aber wie lange&excl; Es ist so schwer&comma; eine lebhafte Zunge zu zügeln&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Doch es liegt nicht in meiner Absicht&comma; die Tanzstundenereignisse genau und ausführlich zu schildern&period; Ich nehme an&comma; meine Backfischchen&comma; denen ich meine Erzählung widme&comma; haben die Leiden und Freuden derselben aus eigener Erfahrung bereits kennen gelernt&period; Es ist immer dasselbe&period; Harmlose Koketterien&comma; kleine Eifersüchteleien&comma; ein wenig Neid&comma; schwärmerische Verehrung&comma; etwas Courschneiderei&comma; zuweilen auch Klatscherei – u&period; s&period; w&period; Dazu noch die kleinen Aufmerksamkeiten&comma; die hinter den Kulissen spielen&comma; z&period; B&period; Fensterparaden&comma; duftige Blumenspenden&comma; manchmal sogar eine gemeinsame Schlittschuhpartie auf dem Eise&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die letztgenannten Aufmerksamkeiten waren natürlich vollständig ausgeschlossen in der Pension&period; Fräulein Raimar würde dieselben nicht geduldet haben&period; Streng hielt sie darauf&comma; daß außer den Tanzstunden nicht die geringste Annäherung mit den Herren stattfand&period; In diesem Punkte kannte sie keine Nachsicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Schon in höchstem Grade unangenehm war es ihr&comma; daß die jungen Leute sich herausnahmen&comma; ihre täglichen Spaziergänge mit den Zöglingen zu durchkreuzen und grüßend an ihnen vorüberzuschreiten&period; Es war ihr geradezu unbegreiflich&comma; wie sie es herausbrachten&comma; welchen Weg sie wählte&period; Denn wenn sie ihre junge Schar heute durch den Park – morgen in dieses Thal – übermorgen über jenen Berg führte&comma; immer konnte sie überzeugt sein&comma; die roten Primanermützen auftauchen zu sehen – sie konnte ihnen nicht entgehen&period; Die Lösung dieses Rätsels war einfach genug&comma; der Verrat wurde durch die Tagesschülerinnen ausgeführt&period; Sie waren die Vermittlerinnen zwischen ihren Brüdern&comma; Vettern oder Bekannten und den Pensionärinnen&period; Sie schmuggelten Grüße&comma; Gedichte&comma; sogar Photographien ein und Flora benutzte diesen Weg&comma; ihr Album den Herren zuzusenden mit der Bitte&comma; ein selbstverfaßtes Gedicht hineinzuschreiben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eines Tages&comma; es war so ziemlich gegen den Schluß der Tanzstunden&comma; erhielt Nellie nach dem Schulunterricht ein kleines Billet zugesteckt&period; Sie ging auf ihr Zimmer&comma; wo Ilse anwesend war&comma; und öffnete dasselbe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie albern&excl;« rief sie hocherrötend aus&comma; als sie die wenigen Zeilen gelesen hatte&period; »Wie kann der einfältige Mensch sich so dreist gegen mir benehmen&excl; Ich habe ihm nie Ursach’ zu so große Dreistigkeit gegeben&excl;« Und sie zerriß die Zeilen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ehe noch Ilse ihre Meinung aussprechen konnte&comma; kam Melanie hereingestürzt&comma; strahlend vor Eitelkeit und Freude&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Kinder&excl;« rief sie mit ihrer lispelnden Stimme&comma; »ich muß euch etwas mitteilen&excl; Aber verratet mich nicht&excl; Schwört&comma; daß ihr niemand etwas sagen werdet&excl; Du auch&comma; Grete&comma;« wandte sie sich an die eintretende Schwester&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Natürlich wartete sie in ihrer Erregung den Schwur gar nicht ab&comma; sondern geheimnisvoll die Thür verriegelnd zog sie ein kleines Briefchen aus ihrer Kleidertasche und begann vorzulesen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>»Mein gnädiges Fräulein&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie würden mich zu dem glücklichsten aller Sterblichen machen&comma; wenn Sie mir Ihre Photographie verehrten&excl; – Meine Bitte ist kühn&comma; ich weiß es&comma; aber Sie werden mir diese Kühnheit großmütig verzeihen&comma; wenn ich Ihnen gestehe&comma; daß es mein glühendster Wunsch ist&comma; Ihre wunderbar klassischen Züge täglich&comma; stündlich sehen und anbeten zu können&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Darf ich auf Ihre Gnade hoffen&quest;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"text-align&colon; right&semi;">Georg Breitner&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>&nbsp&semi;<&sol;p>&NewLine;<p>Nellie hatte die Papierstückchen von der Erde aufgenommen und dieselben so ziemlich wieder zusammengesetzt auf ihrer Kommode&period; Nun las sie die Zeilen vor&period; Sie waren von demselben Verfasser und enthielten die gleiche Bitte&comma; nur waren die Worte ein wenig anders gesetzt&comma; auch nannte er Nellies Züge ›liebreizend‹ anstatt ›klassisch‹&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie wurde doch etwas herabgestimmt bei dieser Entdeckung&comma; die siegesstrahlende Melanie&excl; Einen Augenblick schwieg sie und sah Nellie an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was thun wir&comma; Nellie&quest;« fragte sie dann&comma; »wir können doch Herrn Breitner die Bitte nicht abschlagen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Du darfst dein Bild nicht geben&excl;« platzte Grete&comma; die nebenbei etwas Neid gegen die weit hübschere Schwester empfand&comma; heraus&period; »Auf keinen Fall&comma; oder ich schreibe es dem Papa&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Dich habe ich nicht um deine Meinung gefragt&excl;« gab Melanie kurz zur Antwort&period; »Nellie&comma; was sagst du&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber&comma; Melanie&excl;« rief Ilse ganz erregt&comma; »wie kannst du nur einen Augenblick im Zweifel sein&excl; Du wirst doch wahrhaftig dein Bild nicht an einen Herrn verschenken&comma; der dir eigentlich ganz fremd und noch kein ordentlicher Herr ist&excl; Er will dich zum Narren halten&comma; weiter nichts&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Du schwatzest geradezu Unsinn&comma; liebe Einfalt vom Lande&excl;« entgegnete Melanie gereizt&period; »Was verstehst du denn unter ›ordentliche Herren‹&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Solche&comma; die nicht mehr in die Schule gehen und auf Schulbänken sitzen&excl;« erklärte Ilse&period; »Herr Georg Breitner wird dein Bild mit in die Klasse nehmen und die ›Herren‹ Schüler werden es bewundern&period; Dann bist du furchtbar blamiert&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nellie&comma; du bist ja so still&excl;« wandte sich Melanie etwas kleinlauter als vorhin an diese&comma; »sage doch&comma; was wir thun sollen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O gar nix&excl;« entgegnete dieselbe trocken&comma; »wir werden thun&comma; als ob wir der dumm’ Brief nicht bekommen haben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Und wenn er fragt&quest; Was sagen wir dann&comma; Nellie&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma; auch nix&period; Wir zucken mit die Schulter und schweigen&period; Das nennt man in Deutsch&colon; Mit Nichtachtung verstrafen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Einverstanden war Melanie durchaus nicht mit dieser Entscheidung&comma; sie hätte so gern ihr »klassisches Konterfei« vergeben&comma; trotzdem mußte sie sich der Notwendigkeit fügen&period; Warum mußte er auch noch um Nellies ›liebreizendes Bild‹ bitten&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ihr habt furchtbar öde Ansichten&excl;« sagte sie spottend und verließ das Zimmer&period;<&sol;p>

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